Nachtrag: 23.01.2012
Sitzung: 06.02.2012 Haupt- und Finanzausschuss
Beschluss: Kenntnis genommen
Vorlage: 0633-2012/DaDi
Anfrage der Fraktion der FDP:
In welchen Produktbereichen und in welcher Höhe jeweils wird bei der Wahrnehmung von Aufgaben, die der Bund oder das Land Hessen dem Landkreis zugewiesen hat, das Konnexitätsprinzip nicht oder nur teilweise eingehalten?
Diese Frage kann aufgrund der komplexen Thematik nicht abschließend
beantwortet werden, vor allem ist eine quantifizierbare Aussage hierbei nicht
möglich.
Folgend jedoch ein Auszug von Aufgaben, bei denen die Einhaltung des
Konnexitätsprinzips von den unterschiedlichen Verwaltungseinheiten zumindest in
Frage gestellt wird.
PB 02:
Im Rahmen der
Kommunalisierung sind folgende neue Aufgaben wahrzunehmen:
Produkt 020204:
Seit der Kommunalisierung kam es zu einer Mehrbelastung durch
echte neue Aufgaben durch neue Rechtsvorschriften (z.B.
Verbraucherinformationsgesetz, BVDV-Bekämpfung beim Rind) und erst nach der
Kommunalisierung in Kraft getretene EU-Vorschriften, die bereits erlassen waren
und noch Übergangsfristen enthielten (z.B. EU-Hygienerecht, Cross-Compliance-Kontrollen,
Hühner-Salmonellen-VO). Dazu kam eine regelmäßige Verschärfung, zahlenmäßige
Steigerung und Verkomplizierung durch Änderung bestehender Vorgaben (z.B.
Zulassungs-, Genehmigungsverfahren, Qualitätsmanagement, Akkreditierung von Trichinenlaboren,
Kontroll-zahlen und Umfang im Cross-Compliance) sowie die zunehmende
Einforderung nicht vollzogener Aufgaben durch die Fachaufsicht.
Dies war auch ein Kernthema im Rahmen der Novellierung des
Kommunalisierungsgesetzes bezüglich der Aufgaben auf dem Gebiet des
Veterinärwesens und Verbraucherschutzes im Jahr 2011 und führte vom Hessischen
Landkreistag zu einer Abfrage bei den Kreisen. Eine umfangreiche Stellungnahme
des HLT ist anschließend erfolgt und unter der Rundschreiben Nr. 686/2011
veröffentlicht.
Daraus zusammengefasst lässt sich ausführen, "dass es in
zahlreichen Bereichen durch europarechtliche, aber auch und insbesondere
Landesvorgaben zu einem Aufgabenanstieg, der Ausweitung bestehender und der
Zunahme neuer Standards gekommen ist, was bei den hessischen Landkreisen
jeweils jährliche Mehrkosten im Bereich von mindestens 200.000 Euro bis
300.000 Euro pro Landkreis verursacht" (Schreiben von Herrn Ruder, HLT an
die Landkreise).
Im Schreiben des Geschäftsführenden Direktors des HLT, Herrn Dr.
Hilligardt an Frau Staatsministerin Puttrich, HMUELV ist eine detaillierte
Aufstellung der Mehrbelastungen erfolgt, die in großen Teilen der Stellungnahme
des Unterzeichners an den HLT entspricht. Daneben haben die Kreise Groß-Gerau
und Hochtaunus versucht, die Mehrbelastungen in Arbeitszeit-faktoren bzw.
Stellenanteile zu fassen, was zu den vorgenannten Mehrkostenschätzungen führte.
Groß-Gerau kommt auf einen Mehrbedarf von 281.000 Euro, der Hochtaunuskreis auf
250.900 Euro plus weitere 96.000 Euro, falls das sog. Smiley-System in der
Lebensmittelüberwachung eingeführt werden sollte. Diese Angaben lassen sich auf
Darmstadt-Dieburg übertragen.
Produkt 020201:
Im Rahmen der Kommunalisierung wurde die Kreisverwaltung als zuständige
Behörde für die Durchführung der Vorverfahren in vielen Bereichen der Abteilung
(Jagd- und Fischereiwesen, Gewerbeangelegenheiten, Personenstandswesen,
Allgemeines Ordnungsrecht sowie Waffenrecht) bestimmt. Der Kreisordnungsbehörde
wurde außerdem mit der "Änderung der Arbeitsschutz-zuständigkeitsverordnung"
vom 14.06.2005 die Zuständigkeit zur Durchführung des Sprengstoff-gesetzes
übertragen. In allen benannten Fällen bleiben die erzielten Gebühreneinnahmen
bei der Kreisverwaltung.
Produkt 020202:
Seit Einführung des Zuwanderungsgesetztes am 01.01.2005 kamen
zahlreiche neue Aufgaben auf die Ausländerbehörde zu, die zu längeren
Bearbeitungszeiten führten und langfristig nicht mit einer Stellenmehrung
einhergingen. Durch eine Zuständigkeitsverlagerung von RP-Ebene auf Kreisebene
bearbeitet die Ausländerbehörde zudem die Vorverfahren für EU-Bürger und
ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige. Mit der Einführung des
elektronischen Aufenthaltstiels am 01. 09.2011 erhielt die Abteilung eine
zusätzliche Stelle zur Bewältigung des Mehraufwandes.
Produkt 020203:
Im Bereich der
Zulassungsbehörde sind seit 2005 folgende Aufgaben, teilweise mit
Gebühreneinnahmen, hinzugekommen:
- Erhebung der Steuerdaten und
Bankverbindungen/Einzugsermächtigung für die Finanzverwaltung (seit 2005).
- Überwachung der Steueranzeigen und
zwangsweise Außerbetriebsetzung und Zwangsentstempelung für die Finanzverwaltung: finanzieller Ausgleich
0,25 Euro pro Fall der Einzugsermächtigung.
- Übertragung der Zuständigkeit für
verschiedene Ausnahmegenehmigungen: Gebühreneinnahmen.
- Umsetzung der Euro-Normen. Zusätzliche
Überwachung bei Neuzulassungen: Mehrarbeit bei Neuzulassungen: keine
Gebührenmehreinnahmen.
- Vorführerlasse
Vorfahrtspflicht von Fahrzeugen zur Prüfung der Fahrzeugidentnummer konkretisiert
und ausgedehnt: keine Gebührenmehreinnahmen.
- Einzelgenehmigungsverfahren gem. § 13
EG-FGV
Umsetzung der EG-Richtlinien zur Einzelgenehmigung nicht getypter
Fahrzeuge
Erteilung wurde von Seiten der hiesigen Zulassungsbehörde
weiterdelegiert (inkl. Gebühreneinnahmen) an Bündelungsbehörde
Marburg-Biedenkopf, aber Mehrarbeit verbleibt auch hier, Schriftverkehr
zwischen Bündelungsbehörde und Zulassungsbehörde, Rückfragen, Information und
Antragsaushändigung an Kunden, zusätzliche technische Schulungen waren
erforderlich, zusätzliche Prüfung und längere Bearbeitungszeiten, Rücksprachen
mit Prüforganisationen, Diskussionen mit Kunden erhöhen den Zeitaufwand bei der
Zulassung nicht typgenehmigter Fahrzeuge immens, keine Gebührenmehreinnahmen.
- Klassifizierung der Fahrzeuge und
Ausgabe der Plaketten, auch bei Nachrüstung und technischen Änderungen:
Gebühreneinnahmen Plakettenzuteilung.
- Besteuerungsmerkmal CO²-Wert:Teilweise
manuelle Berechnung und
Erfassung des CO²-Wertes bei der Zulassungsbehörde zur Umsetzung der neuen
Besteuerungsmerkmale
- Aufbietungsverfahren gemäß § 13 Abs. 4
FZV.
- Seit Inkrafttreten der FZV 2007 neue
Möglichkeit der Beendigung der Zulassung für den eingetragenen Halter bei
Verkauf: Gebühreneinnahmen.
- Wechselkennzeichen
Einführung 2012: Gebühreneinnahmen noch unklar.
Im Bereich der
Fahrerlaubnisbehörde sind die nachfolgenden Aufgaben übertragen worden:
- Entscheidungen über Widersprüche seit
2006
- Ausnahmen vom Mindestalter (Kl. B, CE,
L u. T)
- Begleitetes Fahren ab 17 (seit 2007)
- Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz
(seit 2008)
- Hessische Fahrberechtigungsverordnung
(seit 2010)
Produkt 020501:
Die in der Bundesauftragsverwaltung festgelegten Aufgaben, die nach dem
Subsidiaritätsprinzip der Landkreis ausführt, werden in adäquater Höhe vom Bund
finanziert (siehe Jahresberichte): dies betrifft Fahrzeuge, entsprechende
Führerscheinerweiterung, Ausbildung (AKNZ).
Zusätzliche Ausbildung, Ausrüstung und Vorhaltung von Fahrzeugen, um
eine optimale und effiziente Gefahrenabwehrlogistik (GAL Landkreis
Darmstadt-Dieburg) zu etablieren, sind freiwillige Leistungen des Landkreises.
Durch die Neukonzeption Katastrophenschutz des Landes Hessen werden die
dem Landkreis zugewiesenen Aufgaben sukzessive finanziert:
Fahrzeuge mit Ausstattung, entsprechende Führerscheinerweiterung,
Helferpauschalen und Ausbildung (HLFS). Hierzu gilt ebenfalls wie unter 1.),
dass die Optimierung der Ausbildung und der Ausstattung (KatS-Lager), um einen
flächendeckenden Bevölkerungsschutz zu garantieren, freiwillige Leistungen des
Landkreises darstellen.
Ingesamt betrachtet wird das Konnexitätsprinzip im Rahmen der
kommunalen Selbstverwaltung aus dem Blickwinkel der Bundesauftragsverwaltung
eingehalten.
Darüber hinaus ist mit der jüngsten Änderung der HGO (Gesetz vom
16.12.2011, GVBl. I S. 786) eine neue Aufgabe für die Kommunalaufsicht
eingeführt worden. Gem. § 105 Abs. 2 HGO ist ab 01.01.2012 der in der
Haushaltssatzung einer Kommune festgesetzten Höchstbetrag der Kassenkredite zu genehmigen.
PB 05:
Bei der
Einführung des SGB II zum 01.01.2005 wurde darüber gestritten, ob die Kommunen
über Gebühr belastet werden oder sich im Gegenteil sogar deutlich von den
bisherigen Sozialhilfekosten nach dem BSHG entlastet haben.
Eine
einheitliche Sichtweise wird es dazu nicht geben. Aus Sicht des Bundes trägt er
die finanzielle Hauptlast, zahlt Regelleistungen und Krankenversicherung sowie
Eingliederungsleistungen voll, beteiligt sich an den Kosten der Unterkunft und
übernimmt den Großteil der Personal- und Verwaltungskosten.
Aus Sicht
der Kommunen steigt die Belastung durch die von ihnen zu tragenden Kosten der
Unterkunft stetig. Diese Belastung steigt mit jeder Erhöhung der
Regelleistungen, weil anzurechnendes Einkommen immer erst die Bundesleistungen
mindert und erst im zweiten Schritt die Kommunalen Leistungen.
Aktuell
wird der Bund argumentieren, dass er in 2011 den Kommunen bei der Einführung
und Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes mehr Geld gegeben hat, als sie
verausgabt haben.
PB 06:
Bei den Leistungen des Produktbereiches 06 handelt es sich
ausschließlich um Pflichtleistungen. Insbesondere Bundesrecht, aber auch
ergänzendes Landesrecht normieren hier objektive und subjektive
Rechtsansprüche. Das SGB VIII, Kernstück des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
vom 26.6.1990 (BGBl. I, S. 1163), ist ein Leistungsgesetz in perfekter
Vollendung. Es erfuhr, in Reaktion auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen,
seither etliche Veränderungen, die nicht ohne Auswirkungen geblieben sind auf
kommunale Finanzen. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang die geschaffenen
Rechtsansprüche auf einen Kindergartenplatz, bzw. der Rechtsanspruch auf einen
U-3-Platz ab dem 1.8.2013. Seine letzte Veränderung erfuhr das SGB VIII durch
das Bundeskinderschutzgesetz, welches zum 1.1.2012 in Kraft getreten ist und
örtlichen öffentlichen Trägern der Jugendhilfe neue Aufgaben zuweist. Bezüglich
einzelner Leistungssegmente, aktuell z.B. dem neu aufzubauenden
Leistungsangebot der Familienhebammen, erfolgen auch Finanztransfers vom Bund
über die Länder an Kommunen, die in der Regel aber nicht auskömmlich sind.
Gleiches gilt im Grunde genommen für Landeszuwendungen. Als besonders
eklatantes Beispiel sind hier die Zuwendungen des Jugendhilfelastenausgleiches
des Landes zu benennen, der geschaffen wurde, als Aufgaben der Jugendhilfe,
welche das Land Hessen wahr nahm (Fürsorgeerziehung, Freiwillige Erziehungshilfe)
Mitte der neunziger Jahre in die Zuständigkeit der Kommunen wechselte. Es ist
bekannt, dass hier die Finanzierungs- und Belastungsschere kommunaler Haushalte
immer mehr auseinander geht, ohne dass es zu Reaktionen des Landes kam. Da es
sich um keine neue Aufgabe handelt mag es sein, dass ein unmittelbarer
Zusammenhang zum 'Konnexitätsprinzip' nicht herstellbar ist. Das System ist
aber unverändert. Es werden regelhaft unter Beteiligung der kommunalen
Spitzenverbände der kommunalen Ebene neue Aufgaben zugewiesen. Es erfolgen
Absprachen bzgl. notwendiger Transferleistungen (z.B. U-3-Versorgung bzw.
aktuell Familienhebammen), bei denen sich dann aber relativ rasch zeigt, dass
sie nicht auskömmlich sind.
Auch durch das Gesetz zur Änderung des Vormundschafts- und
Betreuungsrechts entstehen Mehrkosten auf kommunaler Ebene.
PB 13
Die Aufgaben der ehemals staatlichen Hauptabteilung IV - Ländlicher
Raum - haben seit der Kommunalisierung im Jahr 2005 erheblich zugenommen:
- Landwirtschaftliche Direktzahlungen
(u.a. durch neue Aufgaben (z.B. Luftbildverifizierungen) und erhöhte
Anforderungen an die Verwaltungskontrollen)
- Fachtechnische Aufgaben (u.a. durch die
neuen EU-Cross-Compliance-Kontrollen sowie im Rahmen der Umsetzung der
EU-Wasserrahmerichtlinie)
- Agrarinvestitionsförderprogramm (u.a.
durch Einführung eines aufwändigen SAP-Buchungssystems, durch die
Übertragung der fachteschnischen (u.a. baufachlichen) Prüfung sowie der
Prüfung der Betreuerakten)