Beschluss: Kenntnis genommen

Kreisbeigeordnete Sprößler informiert über die aktuellen Entwicklungen in der Eingliederungshilfe und die damit verbundenen Auswirkungen:

 

 

Der Landkreis ist als örtlicher Träger der Eingliederungshilfe zuständig für Personen mit Behinderungen im ersten Lebensabschnitt, d.h. ab Geburt bis zum Verlassen der Schule. Die Rechtsgrundlagen für Kinder und Jugendliche mit körperlich und geistiger Behinderung ergeben sich aus dem SGB IX, die Zuständigkeit für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung ergeben sich aus dem SGB VIII.

 

In beiden Bereichen sind die Fallzahlen seit Jahren stark steigend.

 

Mit der Einführung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) hat sich der Behinderungsbegriff –das Vorliegen einer Behinderung ist Voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe- geändert. Neben dem Vorliegen von körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen ist immer auch die Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren zu beurteilen. Das heißt, das Umfeld der Kinder und Jugendlichen ist in der Eingliederungshilfe ein wesentlicher Beurteilungsfaktor.

 

Im Kita-Bereich wird der Fachkräftemangel zunehmend prekär und die Kitas sind immer weniger in der Lage behinderte Kinder gut zu integrieren. Der Träger der Eingliederungshilfe wird aufgrund der dadurch entstehenden Krisen immer mehr in Anspruch genommen, um Lösungen in den Einzelfällen zu finden. Die Kitas haben erhebliche Probleme mit Kindern mit sozial-emotionalen Verhaltensauffälligkeiten, die komplexe und umfangreichere Bedarfe haben.

 

Die dynamischste Veränderung unter allen Leistungen der Eingliederungshilfe zeigt sich im Bereich der Teilhabeassistenzen im schulischen Bereich.

 

 

 

Viele Schulen sind für eine Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung eher schlecht aufgestellt. Spezielle Konzeptionen für die Inklusion von Schüler*innen mit Behinderung (eine Vorgabe der UN-Behindertenrechtskonvention für den schulischen Bereich) sind rar. Die Schulen können Nachteilsausgleiche für Schüler*innen mit Behinderung nur bedingt umsetzen. In den Förderschulen „geistige Entwicklung“ stellen Kinder und Jugendliche mit sehr komplexen Bedarfen und Mehrfachbehinderungen eine große Gruppe dar.

 

Der Fachkräftemangel ist auch in den Schulen angekommen. Dadurch ist die Personalsituation zum Teil sehr schwierig. Sowohl Stellen von Lehrkräften als auch Erzieher*innen-Stellen bzw. Stellen für ein freiwilliges soziales Jahr an den Förderschulen können nicht besetzt werden.

 

Vorhandene Mängel und Defizite im System „Schule“ werden durch den Einsatz von Teilhabeassistenzen zu Lasten der Träger der Eingliederungshilfe mit hohen Kosten kompensiert. Eine weitere Verschärfung der Situation ist zu erwarten.

 

Die Sozialgerichte sehen die Träger der Eingliederungshilfe in der Pflicht, solche Defizite im Umfeld zu kompensieren. Bei der Bedarfsermittlung ist von der tatsächlichen Umweltsituation mit den vorhandenen Barrieren auszugehen.  Die Träger der Eingliederungshilfe sind Ausfallbürge für die Regelerziehungssysteme und Regelbildungssysteme. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen haben einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Leistungen auf Teilhabe zur Bildung, um Bildungsangebote gleichberechtigt wahrnehmen zu können.

 

Mit dem Pakt für den Nachmittag sowie dem geplanten Ausbau der Ganztagsschulen erfolgt sukzessiv eine Ausweitung der schulischen Angebote mit längeren Öffnungs-/Schulzeiten. Die zeitliche Ausweitung des schulischen Angebotes bedeutet i.d.R. auch eine Ausweitung des Leistungsumfangs für Teilhabeassistenzen, da mehr Fachleistungsstunden im Einzelfall zu erbringen sind.

 

Zudem sind zunehmend komplexe Bedarfe bei den Kindern und Jugendlichen festzustellen, in deutlich zunehmender Tendenz bei sozial-emotionalen Verhaltensauffälligkeiten. Die Regelinstitutionen, wie Kitas und Schulen, sind mit diesen Kindern und Jugendlichen zunehmend überfordert.

 

Ein maßgeblicher Aspekt bei zunehmenden seelischen Behinderungen bei Kindern und Jugendlichen sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Familiensysteme erscheinen hochbelastet mit Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit.

 

Sehr schwierig und kostenintensiv sind Leistungserbringungen bei „systemsprengenden“ Kindern und Jugendlichen zu gestalten; auch hier ist eine zunehmende Tendenz zu verzeichnen und die Fälle sind i.d.R. extrem kostenintensiv.

 

Komplexe Bedarfe bedeuten hohe Anforderungen an die Qualifikation der leistungserbringenden Kräfte (Pädagogische Fachkräfte) und / oder einen hohen Umfang der Leistungen oder die Bewilligung von Mehrfachleistungen.

 

Die Teilhabeassistenzen werden von Leistungserbringern wie dem Club Behinderter und ihrer Freunde Darmstadt e.V. (CBF), Nieder-Ramstädter Diakonie (NRD) oder auch von privaten Anbietern gestellt. Es werden zunehmend Tariflöhne gezahlt; auch seither relativ günstige Leistungserbringer stellen auf Tarifzahlung um. Neben der Umstellung auf tarifliche Bezahlung spielt die aktuelle inflationäre Kostenentwicklung eine Rolle.  Diese Entwicklung der Leistungsentgelte wirkt sich unmittelbar auf die Kosten in der Eingliederungshilfe aus. Die durchschnittliche Entgelterhöhung in 2023 beläuft sich auf 10 %.

 

Die Ist-Ausgaben für die Teilhabeassistenzen im Jahr 2022 lagen bei ca. 23,7 Mio. Euro. Für das Jahr 2023 werden Ausgaben in Höhe von ca. 29,3 Mio. Euro erwartet.

 

 

Die Gründe für diese Entwicklung sind wie dargestellt neben den steigenden Fallzahlen, fehlende inklusive Rahmenbedingungen an den Schulen, erhöhte Bedarfe bei Kindern und Jugendlichen, die zunehmende Einführung von Ganztagsschulen sowie die Steigerung der Leistungsentgelte.