Sitzung: 11.09.2023 Ausschuss für Gleichstellung, Generationen und Soziales
Beschluss: Kenntnis genommen
Vorlage: 3226-2023/DaDi
Kreisbeigeordnete
Sprößler
informiert über die aktuellen Entwicklungen in der Eingliederungshilfe und die
damit verbundenen Auswirkungen:
Der
Landkreis ist als örtlicher Träger der Eingliederungshilfe zuständig für
Personen mit Behinderungen im ersten Lebensabschnitt, d.h. ab Geburt bis zum
Verlassen der Schule. Die Rechtsgrundlagen für Kinder und Jugendliche mit
körperlich und geistiger Behinderung ergeben sich aus dem SGB IX, die
Zuständigkeit für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung ergeben
sich aus dem SGB VIII.
In
beiden Bereichen sind die Fallzahlen seit Jahren stark steigend.
Mit
der Einführung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) hat sich der
Behinderungsbegriff –das Vorliegen einer Behinderung ist Voraussetzung für die
Gewährung von Eingliederungshilfe- geändert. Neben dem Vorliegen von
körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen ist immer
auch die Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren zu
beurteilen. Das heißt, das Umfeld der
Kinder und Jugendlichen ist in der Eingliederungshilfe ein wesentlicher
Beurteilungsfaktor.
Im
Kita-Bereich wird der Fachkräftemangel zunehmend prekär und die Kitas sind
immer weniger in der Lage behinderte Kinder gut zu integrieren. Der Träger der
Eingliederungshilfe wird aufgrund der dadurch entstehenden Krisen immer mehr in
Anspruch genommen, um Lösungen in den Einzelfällen zu finden. Die Kitas haben erhebliche
Probleme mit Kindern mit sozial-emotionalen Verhaltensauffälligkeiten, die
komplexe und umfangreichere Bedarfe haben.
Die
dynamischste Veränderung unter allen Leistungen der Eingliederungshilfe zeigt
sich im Bereich der Teilhabeassistenzen im schulischen Bereich.
Viele
Schulen sind für eine Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung
eher schlecht aufgestellt. Spezielle Konzeptionen für die Inklusion von
Schüler*innen mit Behinderung (eine Vorgabe der UN-Behindertenrechtskonvention
für den schulischen Bereich) sind rar. Die Schulen können Nachteilsausgleiche
für Schüler*innen mit Behinderung nur bedingt umsetzen. In den Förderschulen
„geistige Entwicklung“ stellen Kinder und Jugendliche mit sehr komplexen
Bedarfen und Mehrfachbehinderungen eine große Gruppe dar.
Der
Fachkräftemangel ist auch in den Schulen angekommen. Dadurch ist die
Personalsituation zum Teil sehr schwierig. Sowohl Stellen von Lehrkräften als
auch Erzieher*innen-Stellen bzw. Stellen für ein freiwilliges soziales Jahr an
den Förderschulen können nicht besetzt werden.
Vorhandene
Mängel und Defizite im System „Schule“ werden durch den Einsatz von
Teilhabeassistenzen zu Lasten der Träger der Eingliederungshilfe mit hohen
Kosten kompensiert. Eine weitere Verschärfung der Situation ist zu erwarten.
Die
Sozialgerichte sehen die Träger der Eingliederungshilfe in der Pflicht, solche
Defizite im Umfeld zu kompensieren. Bei der Bedarfsermittlung ist von der
tatsächlichen Umweltsituation mit den vorhandenen Barrieren auszugehen. Die Träger der Eingliederungshilfe sind
Ausfallbürge für die Regelerziehungssysteme und Regelbildungssysteme. Kinder
und Jugendliche mit Behinderungen haben einen gesetzlich verankerten Anspruch
auf Leistungen auf Teilhabe zur Bildung, um Bildungsangebote gleichberechtigt
wahrnehmen zu können.
Mit
dem Pakt für den Nachmittag sowie dem geplanten Ausbau der Ganztagsschulen erfolgt sukzessiv eine Ausweitung der
schulischen Angebote mit längeren Öffnungs-/Schulzeiten. Die zeitliche
Ausweitung des schulischen Angebotes bedeutet i.d.R. auch eine Ausweitung des
Leistungsumfangs für Teilhabeassistenzen, da mehr Fachleistungsstunden im
Einzelfall zu erbringen sind.
Zudem
sind zunehmend komplexe Bedarfe bei
den Kindern und Jugendlichen festzustellen, in deutlich zunehmender Tendenz bei
sozial-emotionalen Verhaltensauffälligkeiten. Die Regelinstitutionen, wie Kitas
und Schulen, sind mit diesen Kindern und Jugendlichen zunehmend überfordert.
Ein
maßgeblicher Aspekt bei zunehmenden seelischen Behinderungen bei Kindern und
Jugendlichen sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Familiensysteme
erscheinen hochbelastet mit Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit.
Sehr
schwierig und kostenintensiv sind Leistungserbringungen bei „systemsprengenden“
Kindern und Jugendlichen zu gestalten; auch hier ist eine zunehmende Tendenz zu
verzeichnen und die Fälle sind i.d.R. extrem kostenintensiv.
Komplexe
Bedarfe bedeuten hohe Anforderungen an die Qualifikation der
leistungserbringenden Kräfte (Pädagogische Fachkräfte) und / oder einen hohen
Umfang der Leistungen oder die Bewilligung von Mehrfachleistungen.
Die
Teilhabeassistenzen werden von Leistungserbringern wie dem Club Behinderter und
ihrer Freunde Darmstadt e.V. (CBF), Nieder-Ramstädter Diakonie (NRD) oder auch
von privaten Anbietern gestellt. Es werden zunehmend Tariflöhne gezahlt; auch
seither relativ günstige Leistungserbringer stellen auf Tarifzahlung um. Neben
der Umstellung auf tarifliche Bezahlung spielt die aktuelle inflationäre
Kostenentwicklung eine Rolle. Diese
Entwicklung der Leistungsentgelte wirkt sich unmittelbar auf die Kosten in der
Eingliederungshilfe aus. Die durchschnittliche Entgelterhöhung in 2023 beläuft
sich auf 10 %.
Die
Ist-Ausgaben für die Teilhabeassistenzen im Jahr 2022 lagen bei ca. 23,7 Mio.
Euro. Für das Jahr 2023 werden Ausgaben in Höhe von ca. 29,3 Mio. Euro
erwartet.
Die
Gründe für diese Entwicklung sind wie dargestellt neben den steigenden
Fallzahlen, fehlende inklusive Rahmenbedingungen an den Schulen, erhöhte
Bedarfe bei Kindern und Jugendlichen, die zunehmende Einführung von
Ganztagsschulen sowie die Steigerung der Leistungsentgelte.