Beschlussvorschlag:
I.
Der
Kreistag beauftragt den Kreisausschuss Darmstadt Dieburg im ersten Halbjahr
2023 Mindeststandards für Geflüchtetenunterkünfte im Landkreis Darmstadt
Dieburg – basierend auf den Mindeststandards zum Schutz geflüchteter Menschen
in Flüchtlingsunterkünften (BMFSFJ 04.2021) sowie den Hinweise(n) zu den
bauaufsichtlichen Anforderungen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden
(HMWEVW 03.2022) – vorzulegen, unabhängig davon, ob sie selbst wie in Reinheim,
Bickenbach und Pfungstadt oder von Auftragnehmern wie Kirche in Aktion in
Eppertshausen betrieben werden. Jede und jeder Geflüchtete hat das Recht auf
eine menschenwürdige Unterbringung ohne gesundheitliche Beeinträchtigung.
Folgende
Grundsätze sollen gelten:
1.
Die
Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften stellt immer nur eine Notlösung dar
und sollte deshalb zeitlich auf ein Jahr befristet werden. Die eigene Wohnung ist
neben der Arbeit sowie der sozialen, kulturellen und politischen Partizipation
ein Grundbedürfnis für ein menschenwürdiges Leben.
2.
Gemeinschaftsunterkünfte
eignen sich nicht um unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Obhut zu nehmen
oder zu betreuen. Für sie gilt das SGB VIII, wonach sie in geeigneten
Einrichtungen der Jugendhilfe zu versorgen sind.
3.
Die
Versorgung besonders schutzbedürftiger Personen i.S. der Aufnahmerichtlinie mit
Wohnraum muss darüber hinaus in Form einer eigenen Wohnung und nicht durch
Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften erfolgen. Auch bei dezentraler
Unterbringung muss eine ausreichende sozialarbeiterische Begleitung und
Unterstützung gerade dieses Personenkreises gewährleistet sein.
4.
Durch
die Unterbringung soll eine gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen
Leben in Deutschland ermöglicht werden. Alle äußeren Umstände müssen so
angelegt ein, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, ihr Leben so weit
wie möglich eigenverantwortlich zu gestalten.
5.
Die
Gemeinschaftsunterkünfte dürfen keine Fremdkörper im Gemeinwesen sein.
Massenquartiere mit Lagercharakter, wohnortentfernte Unterkünfte in
Industriegebieten oder in abgelegener Natur provozieren Ignoranz, Distanzierung
und Ablehnung durch die heimische Bevölkerung.
Lage
und Größe
1.
Gemeinschaftsunterkünfte
müssen in hinreichender Nähe zu einem Wohngebiet gelegen sein. Zudem muss eine
ausreichende Infrastruktur vorhanden sein. Dies bedeutet, dass Apotheken,
Ärzte, Geschäfte zur Deckung des Lebensbedarfs, Schulen und Kindergärten
fußläufig (bis zu max. 2 km Entfernung) erreichbar sein sollten.
2.
Darüber
hinaus muss der Anschluss an den im Mindestmaß stündlich verkehrenden ÖPNV
gewährleistet sein.
3.
In
Gemeinschaftsunterkünften sollen nicht mehr als 50 Personen untergebracht
werden.
Bauliche
Ausführung
1.
Die
Unterbringung erfolgt nur in solchen Gebäuden, die zur dauerhaften
Wohnraumnutzung bestimmt und geeignet sind. Viele Containerlager erfüllen diese
Voraussetzungen nicht. Entsprechende Gesetze, Verordnungen und Richtlinien sind
einzuhalten.
2.
Die
Gebäude müssen den baulichen, gesundheitsrechtlichen und brandschutztechnischen
Vorschriften des Landes Hessen entsprechen.
3.
Die
Sicherheit der Bewohner vor Übergriffen muss durch geeignete Maßnahmen
jederzeit gewährleistet sein. Über die o.g. Bestimmungen hinaus sind folgende
sicherheits-technische Schutzmaßnahmen gegen Übergriffe von außen
sicherzustellen:
·
Außentüren
sind gesondert zu sichern (Sicherheitsschlösser, Verstärkung d. Türblattes,
Mehrpunktverriegelung, Schließbleche mit Maueranker usw.). Durch geeignete
Maßnahmen ist sicherzustellen, dass nachts alle Außentüren geschlossen, die
Notausgänge von innen aber zu öffnen sind.
·
Alle
im Parterre und in der ersten Etage liegenden Fenster sind mit
einbruchshemmendem Sicherheitsglas oder mit einer Splitterschutzfolie
auszustatten. Im Parterre sind diese mit Aluminium verstärkten Rollläden zu
versehen, die gegen Hochschieben von außen zu sichern sind.
·
Es
müssen zwei von außen anrufbare zugängliche Fernsprecher zur Verfügung stehen,
die mit einer Notruffunktion versehen sind.
Wohnräume
1.
Für
jede Person stehen mindestens 9 qm Wohnfläche sowie für jedes Kind bis zu sechs
Jahren mindestens 6 qm Wohnfläche zur Verfügung. Bei der Berechnung der
Wohnfläche bleiben Neben- und sonstige Flächen (z.B. Flure, Toiletten, Küchen,
Gemeinschafts- und Funktionsräume) unberücksichtigt.
2.
Familien
mit Kindern, Ehepaare und Lebenspartner*innen haben einen Anspruch auf
gemeinsame Unterbringung. Die Unterbringung sollte nach Möglichkeit in getrennten
Wohneinheiten erfolgen, die mit eigenen Sanitäreinrichtungen und Küche
ausgestattet sind.
3.
Bei
der Unterbringung von Einzelpersonen gilt als Obergrenze eine Belegung von zwei
Personen pro Zimmer.
4.
Alleinstehende
Männer und Frauen sind grundsätzlich getrennt unterzubringen, es sei denn die
betroffenen Personen wünschen ausdrücklich etwas anderes.
5.
Bei
der Belegung der Unterkünfte ist nach Möglichkeit auf Herkunft, individuelle
Lebenslage, Religionszugehörigkeit etc. Rücksicht zu nehmen.
6.
Der
besonderen Schutzbedürftigkeit von Personen wie Minderjährigen, Behinderten,
älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern und
Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer,
physischer oder sexueller Gewalt erlebt haben, ist Rechnung zu tragen.
7.
Pro
Person ist bereitzustellen:
·
1
Bettgestell (mind. 80 cm x 200 cm) mit entsprechender Matratze sowie Kopfkissen
und Bettdecke mit zwei Garnituren an Bettwäsche
·
1
abschließbarer Schrank oder Schrankteil mit ausreichend Raum für Bekleidung und
persönliche Gegenstände
·
1
Stuhl
·
1
Tischplatz mit ausreichend Raum für flexible Nutzung
·
Aufbewahrungsmöglichkeiten
für Geschirr, Lebensmittel und Reinigungsmittel
8.
Pro
Wohneinheit:
·
1
Kühlschrank
·
1
Radiogerät
·
1
Fernsehantennen-/Kabelanschluss
·
1
Briefkasten mit Namen der Bewohner*innen
9.
Den
Bewohnern ist die Möglichkeit zur individuellen Gestaltung ihrer Wohnbereiche
zu bieten (Aufhängen von Bildern u.ä.).
Gemeinschaftsräume
1.
Aufenthaltsräume
1.1
In
den Gemeinschaftsunterkünften müssen je nach Größe Räume zur allgemeinen
Nutzung in ausreichender Größe vorhanden sein. Ein Raum muss zur Durchführung
einer Bewohnerversammlung geeignet sein.
1.2
In
den Gemeinschaftsräumen soll mindestens ein Fernsehgerät vorhanden sein,
unabhängig davon, ob in den individuellen Wohnbereichen Fernsehapparate
vorhanden sind.
1.3
Es
sollte nach Möglichkeit und in Abhängigkeit von der Größe der Unterkunft und
der Belegungsdichte ein separater Raum als Raum der Stille vorhanden sein, der
die Möglichkeit zum Rückzug und auch zur Religionsausübung bietet.
2.
Sanitäranlagen
Für
die Unterbringung von Einzelpersonen gilt, dass für max. fünf Personen
·
1
Dusche (als Einzelkabine mit Entkleidungsbereich)
·
1
Toilette
·
1
Waschbecken
mit
ganztägiger Kalt- und Warmwasserversorgung vorzuhalten sind. Die Sanitäranlagen
sind getrennt nach Männern und Frauen auszuweisen. Die Bewohner*innen erhalten
Schlüssel für die ihnen zugeordneten Sanitäranlagen.
3.
Küche
3.1
Für
jeweils fünf Bewohner*innen bzw. eine Familie ist ein Herd mit vier Kochstellen
und einer Backröhre vorzuhalten.
3.2
Nach
Möglichkeit sollte ein Kühlschrank auf dem Zimmer vorhanden sein, ansonsten
sind abschließbare, abgetrennte Kühlfächer in ausreichender Zahl für alle
Bewohner*innen in der Küche zu installieren.
3.3
Eine
Abwascheinrichtung mit ganztägiger Kalt- und Warmwasservorrichtung ist
erforderlich.
3.4
Arbeitsplatten
zur Speisezubereitung in angemessener Zahl müssen vorhanden sein.
3.5
Soweit
nicht bereits auf den Zimmern vorhanden sind abschließbare Funktionsschränke
für private Küchenutensilien einzurichten.
3.6
Ein
Grundbestand an Küchenutensilien zur leihweisen Vergabe an die Bewohner im
Bedarfsfall sollte vorrätig gehalten werden.
4.
Funktionsräume
4.1
Für
jeweils acht Bewohner*innen sollte eine Waschmaschine zur Verfügung stehen,
deren Instandhaltung gewährleistet wird.
4.2
Ausreichend
Trockenräume und Trockner müssen vorhanden sein.
4.3
Unterstellmöglichkeiten
für Fahrräder müssen vorhanden sein.
5.
Einrichtungen
für Kinder
5.1
Sind
regelmäßig Kinder in der Unterkunft untergebracht, so ist ein Kinderspielzimmer
unter Berücksichtigung pädagogischer Maßstäbe einzurichten.
5.2
Auf
eine kindersichere Ausstattung der Einrichtung ist besonders zu achten.
6.
Sonstiges
6.1
Soweit
es die Außentemperaturen erfordern, mindestens aber in der Zeit vom 1.10. bis
30.4. (Heizperiode) und wenn außerhalb der Heizperiode an drei aufeinander
folgenden Tagen die Temperatur um 21.00 Uhr nur 12 Grad Celsius oder weniger
beträgt, muss für ausreichend Beheizung (21 Grad Celsius) gesorgt werden.
6.2
Es
muss mindestens ein Fernsprechapparat, der anrufbar ist, vorhanden sein, der
Notruf muss kostenfrei möglich sein. Wlan muss allen dauerhaft zugänglich sein.
6.3
Die
Einrichtung muss regelmäßig auf die Einhaltung der Standards überprüft werden,
auch durch unangemeldete Kontrollen. Über die Einhaltung der Standards wird
einmal jährlich im Kreistag informiert.
6.4
Die
Bewohner*innen haben das Recht in ihren Räumen Besuch zu empfangen.
II.
Geflüchtetenbeirat
Zur Sicherstellung der Einhaltung von Mindeststandards in Unterkünften für
Geflüchtete, die vom Landkreis Darmstadt Dieburg oder in seinem Auftrage
betrieben werden, wird geprüft einen Beirat zu gründen, in den jede
Kreistagsfraktion und jedes fraktionslose Mitglied eine Vertreterin oder einen
Vertreter entsendet und der Kreisausschuss auf Vorschlag des Kreistags weitere
15 sachkundige Bürger*innen beruft. Das Gremium berichtet regelmäßig dem
Kreistag und hat das Recht, die Unterkünfte auch ohne vorherige Anmeldung beim
Landkreis oder anderen Betreibern in Augenschein zu nehmen.