Beschluss: Kenntnis genommen

Erster Kreisbeigeordneter Schellhaas

 

übergibt die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten der FDP- Fraktion zur bundesweiten Entwicklung der Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen in Fällen von Kindeswohlgefährdungen.

In der ausführlichen Beantwortung der kleinen Anfrage durch die Bundesregierung wird dargestellt, dass bundesweit die Zahl der vorläufigen Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche zwischen 2005 und 2008 um 26% gestiegen ist. Der Anteil sehr kleiner in Obhut genommener Kinder unter 3 Jahren hat sich zwischen 2000 und 2008 von 5 auf 10% verdoppelt.

Meist genannte Anlässe für Inobhutnahmen sind mit 44% aller Fälle die Überforderung von Eltern, aber mit 24% auch Anzeichen von Vernachlässigung, Misshandlung und sexueller Gewalt.

Zwischen 2000 und 2007 ist die Zahl der gerichtlichen Maßnahmen zum teilweisen oder vollständigen Entzug der elterlichen Sorge um 43 % gestiegen. Im Jahr 2008 hat es in Hessen nochmals eine erhebliche Fallzahlsteigerung gegenüber 2007 von 31 % gegeben. Dies belegt, dass Jugendämter nicht übervorsichtig agieren, sondern dass hinter den Schutzmaßnahmen auch gerichtlich bestätigt gravierende Notlagen stehen.

Der Landkreis- Darmstadt Dieburg liegt bei diesen bedrückenden Zahlen voll im Bundes- und Landestrend. Gegenüber dem Stichtag 04.07.2008 hat sich zum Stichtag 21.08.2009 die Zahl der in Schutzmaßnahmen befindlichen Kinder und Jugendlichen von 10 auf 20 verdoppelt. In der Zeit vom 01.01.- 24.08.2008 haben wir 64 junge Menschen in Obhut genommen. Das sind 10 mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Unsere Aufwendungen für Schutzmaßnahmen werden in diesem Jahr voraussichtlich um 606.660,00 € von 424.360,00 € auf 1.031.000,00 € steigen. An Schutzmaßnahmen schließen sich meist ambulante oder stationäre Jugendhilfen an.

Zur Illustration dieser Zahlen stichwortartig einige Fälle von Inobhutnahmen aus den letzten Monaten:

August 2009

 

Inobhutnahme von 3 Mädchen im Alter von 2,5 und 8 Jahren. Auf einem Handy waren Fotos von sexueller Gewalt des Stiefvaters an der 8 jährigen sichergestellt worden. Die 8-Jährige befindet sich mit einem schweren Trauma in der Darmstädter Kinderklinik, die beiden kleinen Schwestern werden in einer Bereitschaftspflegestelle untergebracht. Dort werden auch bei der 3-Jährigen Verletzungen im Genitalbereich festgestellt. Die Erziehungshilfe stellt Antrag auf Entzug der elterlichen Sorge beim Familiengericht. Beide Eltern befinden sich in U- Haft.

Juli 2009

 

Im Nachtbereitschaftsdienst der Erziehungshilfe meldet sich über die Polizei eine Mutter mit ihrer 14-jährigen Tochter. Die Jugendliche gibt an, seit ihrem 12. Lebensjahr von einem Zuhälter Männern zur Prostitution zugeführt worden zu sein. Sie habe dafür Drogen, Geld und Geschenke erhalten. Das Mädchen hat sich der Mutter offenbart und hat seit einigen Tagen jeden Kontakt zum Zuhälter abgebrochen. Mutter und Tochter fühlen sich bedroht und haben Indizien dafür, dass ihnen nachgestellt wird. Die Tochter lehnt aus Angst jede Aussage gegenüber der Polizei ab und auch die Mutter möchte keine Einschaltung der Polizei. Beiden wird vermittelt, dass dies nicht geht und die Polizei wird über den Sachverhalt informiert. Eine Strafverfolgung ist bis heute nicht möglich,  da die Jugendliche die Aussage verweigert. Es erfolgte eine Unterbringung in einer Mädcheneinrichtung außerhalb des Rhein-Main-Gebietes.

 

Mai bis Juli 2009

In insgesamt 4 Fällen trennt die Erziehungshilfe 4 Babys und 1 Kleinkind von ihren psychisch kranken Müttern. In 3 Fällen leiden die Mütter unter dem Borderline-Syndrom und leben in gewaltgeprägten Beziehungen, eine weitere Mutter ist an einer besonderen Form der Schizophrenie erkrankt, die es ihr unmöglich macht, Bedürfnisse des Säuglings zu erkennen und adäquat darauf einzugehen. Zwei Säuglinge werden direkt aus der Geburtsklinik in Bereitschaftspflegestellen untergebracht. In den beiden weiteren Fällen erweist sich eine intensive Sozialpädagogische Familienhilfe als nicht ausreichend und eine Unterbringung in der Mutter-Kind-Einrichtung in Weiterstadt scheitert an der mangelnden Kooperation der Mutter.

 

März 2009

 

Aufgrund der § 8a-Meldung einer Kindertagesstätte wurde die Erziehungshilfe auf eine Familie mit 3 Kindern im Alter zwischen 6 Monaten, 4 und 7 Jahren aufmerksam. Beim Einsatz vor Ort mit Unterstützung der Polizei wurde ein verwahrloster Haushalt  mit vollkommen überforderten Eltern vorgefunden. Das Baby war kurz vor dem Erscheinen vom Kinderarzt mit akuter Unterernährung in die Kinderklinik eingeliefert worden. Bei den 4 und 7 Jahre alten Kindern waren schon seit langer Zeit keine Vorsorguntersuchungen mehr durchgeführt worden, ohne dass die Erziehungshilfe  nach dem Kindergesundheitsschutzgesetz darüber eine Mitteilung erhalten hat. Alle Kinder wurden in Pflegestellen untergebracht. Sie haben gravierende Entwicklungsrückstände, die intensive medizinische und pädagogische Therapie erforderlich machen.

Voraussichtlich Ende September 2009

Seit mehren Monaten war die Erziehungshilfe im Gespräch mit einer Familie mit 4 Kindern im Alter von 10,9,7 und 4 Jahren. Die Sorgeberechtigten leben einen alttestamentarisch- fundamentalistisch geprägten christlichen Glauben, zu dem gehört, dass sie ihre Kinder hartnäckig der gesetzlichen Schulpflicht entziehen und als Erziehungsmethode Züchtigungen praktizieren. Ein entsprechendes Strafverfahren beim Amtsgericht Darmstadt  führte zu einer Verurteilung der Eltern. Einem Antrag gemäß §1666 BGB auf Einleitung familiengerichtlicher Maßnahmen beim Amtsgericht Darmstadt entzog sich die Familie durch Ausreise ins Ausland.

Im Juli erhielt die Erziehungshilfe durch einen deutschen Staatsbürger, die telefonische Mitteilung, dass die Familie sich für eine Weile in seinem  Haus aufgehalten habe. Die Kinder würden weiterhin isoliert, erhielten keinerlei Zugang zu Bildung und zeigten erhebliche Verhaltensauffälligkeiten.

Über die oben beschriebenen Sachverhalte informierten wir über das  Konsulat  die dortigen Behörden, die auch inzwischen tätig wurden.

Herr des Verfahrens ist in Fällen mit Auslandsberührung das Bundesamt für Justiz in Bonn und das Hessische Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit.

Da die Kinder der Landessprache nicht mächtig sind, wurde die Erziehungshilfe angefragt, sie nach der Inobhutnahme durch die dortige Jugendbehörde in einer deutschen Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

 

 

Dies ist ein exemplarischer Ausschnitt von 15  Kindern und Jugendlichen aus der Gesamtzahl von 64 die in vorläufige Schutzmaßnahmen genommen wurden. Die Steigerung der Fallzahl zeigt, dass Maßnahmen zur Aufdeckung von Vernachlässigung und Misshandlung greifen. Die mit den Kindertagesstätten getroffenen Vereinbarungen zur Wahrnehmung des Schutzauftrages gemäß § 8a SGB VIII zeigen Wirkung und es ist deutlich festzustellen, dass auch Bürgerinnen  und Bürger  durch die öffentliche Beachtung, die dieser Bereich erfährt, in ihrem Meldeverhalten sensibler geworden sind.