Beschluss: Kenntnis genommen

Kreisbeigeordneter Fleischmann berichtet über die Untersuchungen von Kläranlagenabwasser auf Pflanzenschutzmittel- und Arzneimittelrückstände:

 

Landesweite Untersuchungen des Hessischen Landesamtes für Umwelt und Geologie (HLUG) im Jahr 2004 haben ergeben, dass sich in mehreren Fließgewässern überhöhte Werte bei Pflanzenschutzmitteln (PSM) gezeigt haben. Die Untersuchungen wurden infolge der Verordnung zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (VO-WRRL) durchgeführt. Dabei haben sich zum Teil eklatante Überschreitungen gezeigt. Betroffen ist hier auch der Landkreis Darmstadt-Dieburg mit z. T. relativ hohen PSM-Konzentrationen.

 

Beim Landkreis Darmstadt-Dieburg wurde daraufhin ein Arbeitskreis gebildet. Dem Gremium gehören Vertreter von Naturschutzverbänden, der Landwirtschaft und der Wasserbehörden an. Dort werden Ursachen der Auffälligkeiten und mögliche Gegenmaßnahmen erörtert. Nach früheren landesweiten Untersuchungen des HLUG ist ein großer Teil der Gewässerbelastungen mit PSM auf Einträge einzelner kommunaler Kläranlagen zurückzuführen. Ein großes Problem dabei  ist der z. T. nicht sachgerechte Umgang mit den Stoffen bei ihrer Anwendung.

 

Kreisbeigeordneter Christel Fleischmann veranlasste daraufhin, dass alle 19 Kläranlagen im Landkreis auf Pflanzenschutzmittel und ergänzend auf Arzneimittelrückstände durch die Europa Fachhochschule Fresenius, Idstein, im Ablauf überprüft werden. Im Zeitraum vom 11. April bis 12. Juni 2007 wurden in drei Zyklen insgesamt 171 Proben auf 68 PSM-Stoffe und zwölf Pharmaka analysiert. Bei 21 PSM-Mitteln kam es zu positiven Ergebnissen. Die übrigen PSM lagen unter der Bestimmungsgrenze oder wurden nicht nachgewiesen. Pharmaka wurden in jedem Kläranlagenablauf vorgefunden.

 

Für zehn hier relevante PSM-Stoffe gibt es Qualitätsnormen (Grenzwerte) für die zulässige Durchschnittskonzentration im Gewässer.

 

n-Chloridazon

0,1 µg/l

Mecoprop (MCPP)

0,1 µg/l

Dichlorprop (2,4-DP)

0,1 µg/l

Terbutylazin

0,5 µg/l

2,4-D

0,1 µg/l

Metolachlor

0,2 µg/l

Betazon

0,1 µg/l

Metazachlor

0,4 µg/l

MCPA

0,1 µg/l

Dimethoat

0,1 µg/l

 

 

Bei zwei wichtigen PSM-Stoffen schlägt die EU-Kommission folgende Grenzwerte vor:

 

 

Zulässiger

Jahresmittelwert

maximal zulässiger

Einzelwert

maximal zulässiger Einzelwert im

Zusammenhang mit der Trinkwasserverordnung

Diuron

0,2

1,8

0,1 µg/l

Isoproturon

0,3

1,0

0,1 µg/l

 

Für den Stoff Terbutryn liegt der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) ein gutachterlicher Vorschlag nach den EU-Anforderungen von 0,03 µg/l als Qualitätsnorm vor. Das Mittel ist als Pflanzenschutzmittel nicht mehr zugelassen.

 

Von den zwölf untersuchten Pharmaka wurden der Schmerzmittelwirkstoff Diclofenac, das Antiepileptikum Carbamazepin und der Betablocker Metoprolol in jedem untersuchten Kläranlagenablauf vorgefunden. Für sämtliche untersuchten Pharmaka existieren derzeit allerdings noch keine Grenzwerte. Gutachten der LAWA enthalten aber Qualitätsnormvorschläge für einzelne Stoffe, wie z. B. für Diclofenac 0,1 µg/l und für Carbamazepin 0,5 µ/l.

 

Diese Werte gelten für die Belastung im Gewässer. Sie gelten nicht als Ablaufwerte aus Kläranlagen. Diese geben allerdings Hinweise auf eine unerwünschte Belastung von Bächen. Sie zeigen die Problematik auf, dass selbst in modernsten Kläranlagen, die die heute geltenden gesetzlichen Anforderungen erfüllen, PSM und Pharmaka nicht zurück gehalten werden können. Aufgrund der in unserer Region oft sandigen Böden besteht auch die Besorgnis, dass die Mittel über die oberirdischen Gewässer versickern und in das Grundwasser gelangen. Damit kann eine Gefährdung unseres Trinkwassers gegeben sein.

 

Die Werte sind nach den Vorgaben der europäischen Wasserrahmenrichtlinie bis zum Jahr 2015 einzuhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Gewässer in einen guten ökologischen und chemischen Zustand zu bringen, der dann erreicht ist, wenn die Qualitätsziele der EU-Richtlinie zur Verminderung der Gewässerbelastung nicht überschritten werden.

 

Dies kann allerdings nicht bedeuten, dass dieser Zeitpunkt untätig abgewartet werden könnte. Vielmehr sind die zuständigen Stellen gefordert, anhand der Feststellungen, die mit Sicherheit auf andere Landkreise übertragbar sind, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die geforderten Standards einzuhalten.

 

Bei einem Teil der Stoffe ist zu beachten, dass sie nicht nur eine einzige Verursacherquelle haben. Vielmehr werden sie in mehreren Bereichen eingesetzt. Sie werden nicht nur ausschließlich in der Landwirtschaft verwendet. Auch für die Zierrasenpflege, bei der Entkrautung von Gehwegen, im Hausgarten und in der Industrie finden die PSM Anwendung bzw. können durch Abwaschungen von Fassaden freigesetzt werden. Dadurch gestaltet es sich auch als äußerst schwierig, konkrete Verursacher festzustellen.

 

Es ist daher wichtig, die gesamte Öffentlichkeit über den Sachverhalt zu unterrichten. Nur durch eingehende Beratungen können mögliche Verursacher auf ihr womöglich unbeabsichtigtes Verhalten hingewiesen werden. Es mag breiten Teilen der Bevölkerung nicht bekannt sein, dass die Kläranlage die Mittel zur Unkrautbekämpfung im Rasen nicht abbauen kann. Deshalb besteht auch kein Unrechtsbewusstsein, wenn nach der Anwendung die Gießkanne ausgespült und das Abwasser in die Kanalisation gegeben wird. Es fließt dann allerdings unbehandelt durch die Anlage und belastet anschließend das Gewässer.

 

Gleiches gilt auch für den Umgang mit Pharmaka. Hier kann es allein schon sehr hilfreich sein, Medikamentenreste nicht mehr über die Toilette bzw. den Ausguss zu entsorgen, sondern diese beispielsweise in einer Apotheke zurückzugeben und damit einer geordneten Entsorgung zuzuführen. Ein großer Teil der Pharmaka gelangt allerdings nach Einnahme durch den Patienten über Ausscheidungen  in die Kläranlagen.

 

Der erwähnte Arbeitskreis wird sich regelmäßig treffen und weitere Vorgehensweisen festlegen.

Die Anzahl der festgestellten Stoffe in den einzelnen Kläranlagen ergibt folgendes Bild:

 

 

Anzahl der Stoffe

Kläranlage

  1.  

14

Eschollbrücken

  1.  

14

Reinheim

  1.  

12

Gräfenhausen

  1.  

11

Alsbach-Hähnlein

  1.  

9

Griesheim

  1.  

8

Groß-Umstadt

  1.  

8

Groß-Zimmern

  1.  

7

Mühltal

  1.  

5

Bickenbach

  1.  

4

Ernsthofen

  1.  

4

Pfungstadt

  1.  

4

Roßdorf

  1.  

4

Weiterstadt

  1.  

3

Babenhausen

  1.  

3

Brandau

  1.  

3

Dieburg

  1.  

3

Eppertshausen

  1.  

3

Messel

  1.  

3

Münster

 

Die Verteilung der Stoffe auf die Kläranlagen stellt sich nachstehend dar:

 

 

Stoffname

Anzahl

der Kläranlagen

Verwendung

  1.  

Diuron

19

Zierpflanzenanbau/Nichtkulturland; früher auch Schienen- und Straßenränder (Unkraut)

  1.  

Terbutryn

18

Farbenherstellung (in der Landwirtschaft nicht mehr zugelassen (früher: Getreide und Mais))

  1.  

MCPP

13

Rasen, Grünlandwirtschaft, Ackerbau (Unkräuter)

  1.  

MCPA

11

Rasen, Ackerbau, Obstbau, Zierpflanzenbau (Unkrautvernichter)

  1.  

2,4-DP

9

Getreide (Unkräuter)

  1.  

Metamitron

7

Futter- und Zuckerrüben (Herbizid)

  1.  

Ethofumesat

6

Zuckerrüben (Unkräuter)

  1.  

Isoproturon

6

Getreide (Ungräser)

  1.  

Bentazon

5

Getreide (Unkräuter) breit einsetzbar

  1.  

Metalaxyl

4

Kartoffel- und Gemüsebau (Fungizid)

  1.  

Metribuzin

4

Ackerbau, Gemüsebau, Zierpflanzenbau (Herbizid)

  1.  

Tebuconazol

4

Ackeerbau, Gemüsebau (Fungizid)

  1.  

Terbutylazin

4

Mais (Unkräuter)

  1.  

Epoxiconazol

3

Getreide (Fungizid; u.a. Echter Mehltau)

  1.  

Fluazifop

3

Forst, Ackerbau, Obstbau, Gemüsebau (Unkräuter)

  1.  

Propiconazol

3

Weizen (Fungizid)

  1.  

Simazin

2

Nicht mehr zugelassen (früher: Obstbau, Weinbau, Mais: Totalherbizid)

  1.  

2,4-D

1

Rasen (Unkrautvernichter)

  1.  

Dimethoat

1

Forst (Maikäfer), Gemüsebau/Zierpflanzenbau/Ackerbau (diverse Insekten

  1.  

Metazachlor

1

Gemüsebau, Zierpflanzenbau, Raps (Unkräuter)

  1.  

n-Chloridazon

1

Gemüsebau, Futter- und Zuckerrüben (Herbizid)

 

Es ist auffällig, dass die Stoffe Terbutryn und Diuron in nahezu allen Kläranlagen mit hohen Konzentrationen festgestellt wurden.

 

In der Landwirtschaft ist der Wirkstoff Terbutryn nicht mehr zugelassen. Er wird weiterhin bei der Herstellung von Fassadenfarben verwendet.

 

Diuron wird zur Unkrautbekämpfung eingesetzt. Insbesondere zur „Sauberhaltung“ von Gleiskörpern und Straßenrändern war es weit verbreitet. Ebenso sind die Wirkstoffe MCPA und MCPP bei der Unkrautvernichtung im Einsatz.

 

Das Vorkommen dieser Mittel lässt den Schluss zu, dass die Stoffe großflächig im Gemeindegebiet zur Unkrautbekämpfung eingesetzt werden. Sie werden von befestigten Flächen abgespült und geraten in die Kanalisation.

 

Im ersten Schritt werden die Betreiber der Kläranlagen in der Bürgermeister-Dienstversammlung am 13.05.2008 darüber unterrichtet, dass Informationsgespräche über die Anwendung und die Entsorgung von PSM stattfinden sollen. Begonnen soll mit den Anlagen, bei denen die größte Palette der Mittel analysiert wurden, Eschollbrücken, Reinheim und Gräfenhausen. An den Terminen sollen von Seiten der Gemeinden insbesondere das Bauamt, das Umweltamt, das Gartenamt, die Straßenunterhaltung und die Friedhofsverwaltung teilnehmen.

 

Es ist wichtig, von Behördenseite unbedingt eine Pflanzenschutzfachkraft des Regierungspräsidiums Gießen hinzuziehen. Das Amt für den ländlichen Raum klärt, welche Gebührenforderungen das Land stellen wird.

 

Als nächstes ist es erforderlich, mit den Landwirten der betroffenen Gemeinden Gespräche zu führen. Auch hier ist die Anwesenheit einer Pflanzenschutzfachkraft unabdingbar.

 

Die dritte mögliche Verursachungsquelle stellen Grundstücksbesitzer dar, die Garageneinfahrten und Gartenwege von Unkräutern frei halten wollen. Diese Gruppe soll ggf. in einem weiteren Verfahren berücksichtigt werden.

 

Vertreter der Maler- und Lackiererinnungen sollen ebenfalls für die Problematik sensibilisiert werden.

 

Das Hessische Ministerium für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz sowie das Hessische Sozialministerium wurden von den Ergebnissen unterrichtet.

 

Die einzelnen Ergebnisse der Untersuchungen sind im Internet unter „http://www.ladadi.de/Pflanzenschutzmittel-in-Fliessgewaessern.4889.0.html“einzusehen.