Nachtrag: 14.08.2019

Beschluss: Kenntnis genommen

Landrat Schellhaas gibt die nachstehende kurze Zusammenfassung der Gründe zur Kenntnis, die zur Weiterentwicklung des Masterplan-Gedankens für den Standort Kranichstein zur Zukunftswerkstatt geführt haben.

 

Der 2004 bezogene Standort Jägertorstraße 207 wurde in mehreren Schritten baulich und funktional untersucht, seine Vor- und Nachteile und die erforderlichen Maßnahmen zur Sanierung und Modernisierung erarbeitet, geplant und von mehreren Stellen bewertet sowie auch mit den Genehmigungsbehörden der Stadt Darmstadt besprochen.

 

Im Ergebnis kommt der Kreisausschuss zu dem Ergebnis, dass der Standort auf Grund der grundlegend veränderten Rahmenbedingungen für die Kreisverwaltung keine langfristig angelegte Perspektive mehr bietet.

 

Rückblick:

Die Ursprungsidee des „Masterplanes 2020+“ beinhaltete den Gedanken der Verdichtung der Kreisverwaltung auf der Liegenschaft in Kranichstein und in Folge dessen deren Zentralisierung und Auflösung der kleineren Außenstellen.

Dazu sollten ausgehend von 900 bereits heute möglichen 1.000 bis 1.200 Arbeitsplätze am Standort entstehen. An diese besteht der Anspruch die Arbeit einer digitalen, serviceorientierten Verwaltung baulich, funktional sowie konzeptionell zu unterstützen. Gleichzeitig sollten die Zugangssituation geklärt, ein zentrales Servicegebäude entstehen, an das sich alle Verwaltungsbereiche anschließen, und die Parksituation durch die Schaffung zweier Parkhäuser verbessert werden.

Nach Durchführung des Städtebaulichen Ideenwettbewerbes im Herbst 2018 wurde deutlich, dass das Potential des Standortes Kranichstein ausgeschöpft ist und die Liegenschaft den genannten Herausforderungen künftig nicht gerecht werden kann:

Eine Verkehrsstudie belegt, dass der Knotenpunkt Kranichsteiner Straße/Jägertorstraße bereits heute überlastet ist. Durch den Ausbau der Kreisverwaltung würde der motorisierte Individualverkehr zunehmen und damit die Stellplatzsituation im Quartier und innerhalb der Liegenschaft verschlechtern.

Im Zuge der angekündigten Ertüchtigung der Jägertorstraße durch die Stadt Darmstadt in den nächsten Jahren wird es keine Maßnahmen zur Verbesserung der motorisierten individualverkehrlichen Erschließung geben, was jedoch auf absehbare Zeit für die Erreichbarkeit der Kreisverwaltung der wichtigste Faktor bleiben wird.

Eine klare Struktur auf der Liegenschaft im Hinblick auf die Zugangssituation ist durch die verschiedenen Gebäudetrakte kaum möglich, erschwert die Orientierung für die Besucherinnen und Besucher und birgt durch die hohe Anzahl an Zugängen große Sicherheitsrisiken. Selbst eine im städtebaulichen Ideenwettbewerb untersuchte Änderung des Haupteingangs von der Nord- auf die Südseite (über die Feuerwehrzufahrt der Jägertorstraße) ergibt keine befriedigende Lösung. Zwar wäre das südlich geplante Besucherparkhaus besser anzuschließen, ein zweites erforderliches Parkhaus im Nordosten für die 1.200 Bediensteten würde weiterhin über die Hammelstrift erschlossen werden müssen.

Der Erhalt des Frei- und Grünflächengürtels, der erheblich zum Erhalt des Mikroklimas und der Artenvielfalt in Kranichstein beiträgt, war immer Ziel des Prozesses, schränkt aber andererseits die Flexibilität in der weiteren Bebaubarkeit erheblich ein.

Die gewerbliche Nutzung der Liegenschaft und des umliegenden Bereichs war zum Zeitpunkt der Bebauung prägender Teil der Planung, kam jedoch durch veränderte Planungen nie zur weiteren Ausführung. Der Standort ist damit mittlerweile ein Solitär, umgeben von Wohnbebauung und damit in der baulichen Entwicklung (z. B. Höhe der Bebaubarkeit) stark eingeschränkt. Der städtebauliche Ideenwettbewerb hat dies unter Berücksichtigung der vom städtischen Planungsamt gemachten Vorgaben untersucht und bestätigt.

Die fortschreitende Bestandsanalyse des baulichen Zustandes der Gebäude auf der Liegenschaft dokumentiert große ganzheitliche Defizite, die mit anderen bereits genannten Gründen der Hauptauslöser für den „Masterplan 2020+“-Prozess waren.

Insbesondere aus dem Bereich des Brandschutzes und der Bauphysik in den Trakten 2 bis 4 und deren geringer Flächeneffizienz sowie der Notwendigkeit einer Umlagerung der Technikzentrale (Landkreis und ENTEGA) aus Trakt 1 inklusive der starken Baustoffbelastung des Flachbaus resultieren hohe Investitionen. Allein die Verlegung der Technikzentrale, die gemeinsam mit der ENTEGA geplant wurde, resultiert mit Kosten über 2 Mio. EUR.

In Trakt 5 erfolgten im Rahmen der vertiefenden Untersuchungen Öffnungen von Bauteilen. Die neu gewonnenen Erkenntnisse insbesondere zum konstruktiven Aufbau der Büroetage führen nur noch zum Schluss, dass die Brandschutzanforderungen nicht mehr sanierend erfüllt werden können, so dass die Nutzung mit Ablauf des Jahres 2020 enden muss und bis dahin kompensierende Maßnahmen den Betrieb sichern. Einem Ersatz oder einer Ertüchtigung stehen weitere baulich-technische (Ver- und Entsorgung, Medienversorgung), statische (das darunter liegende Parkdeck kann nur noch begrenzt zusätzliche Lasten aufnehmen) und die damit verbundenen Kostenaspekte entgegen.

Der Erhalt des Parkdecks erfordert bereits heute eine ebenso aufwändige Betonsanierung.

Eine ganzheitliche Umsetzung der Modernisierung und Ertüchtigung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Technikstände der Gesamtanlage ist sehr komplex und aufgrund des hohen Alters der Gebäudetrakte nicht oder nur durch teilweise oder vollständige Neuerrichtung realisierbar, was einen Rückbau oder Abriss einzelner Gebäudetrakte erforderlich macht; egal welche weitere Entwicklung folgt.

Hierbei handelt es sich z.B. um die Umsetzung eines Brandschutzkonzeptes, die Instandsetzung der verschiedenen Heiz-, Fernwärme- bzw. Lüftungsanlagen, die Erneuerung der Fassaden der Trakte 2, 3 und 4 inkl. Sonnenschutz und Dachhaut, Erneuerung der Elektroinstallationen im Hinblick auf aktuelle Standards und neue Technologien, Schadstoffbeseitigung, Aufzugsanlagen, Barrierefreiheit, Frei- und Grünflächen etc.

Bereits mit dem Kenntnisstand 2014 f. wurde im Rahmen der Erstellung des damaligen Masterplan 2020+ eine Kostenbetrachtung von zwei in Frage kommenden Szenarien zur Weiterentwicklung des Standorts (Szenarien 1 und 2) durchgeführt und mit einem Szenario 0 verglichen. Das Szenario 0 nahm an, dass erforderliche Sanierungsmaßnahmen am Standort durchgeführt werden, jeglicher Aufwuchs an Arbeitsplätzen jedoch durch externe Anmietungen und ohne Zubauten erfolgen und im Übrigen keine Anpassungen der Arbeitsplatzgestaltung an neue Herausforderungen der Digitalisierung, Projektarbeit usw. erfolgen. Die mit den Szenarien verbundenen Kosten wurden über einen Zeitraum von 30 Jahren hochgerechnet.

Im Ergebnis erwies sich das Szenario 0 über den Betrachtungszeitraum von 30 Jahren als mit knapp 100 Mio. EUR als die teuerste Variante. Trotz erheblicher Investitionen in den ersten Betriebsjahren des Betrachtungszeitraums und höherem Kosten-Nutzen-Faktor schnitten die Szenarien 1 und 2 in der langfristigen Betrachtung bis zu rund 10 % kostengünstiger ab.

Nach dem ernüchternden Ergebnis des städtebaulichen Wettbewerbs im Herbst 2018 bot das Moratorium der ungesicherten Finanzierung wegen der Unwägbarkeiten der durch die Hessenkasse belassenen Spielräume Gelegenheit zur Reflektion und Neubewertung der vorliegenden Erkenntnisse. Der Wettbewerb zeigte dabei mindestens zwei grundlegende Ergebnisse. Die aufgezeigten Defizite sind nur aufwändig und mit neuen Kompromissen (z. B. die Zugangssituation) zu lösen und mit der Umsetzung ist das Standortpotential vollständig aufgebraucht.

Die Ankündigung der Anmietung eines weiteren Standortes zur Aufnahme neuer Bediensteter löste bei den Mitarbeitenden die Bereitschaft zum Zusammenrücken und zur Entwicklung neuer Telearbeitskonzepte aus. Es wird erkenntlich, dass die Bediensteten einer weiteren Dezentralisierung und dem damit verbundenen Verlust des Gemeinschaftsgefühls versuchen, entgegenzuwirken und den Wunsch zur Zusammenarbeit an einem Standort haben. Insofern ist ein umfassenderes Telearbeitsangebot zwar Teil einer Lösung, kann aber keinesfalls die einzige Lösung bleiben.

Die fortschreitende Digitalisierung sowie die öffentliche Debatte „Verwaltung 4.0“ wirken sich ebenfalls nachhaltig auf die Diskussion und die damit verbundene Vision der künftigen Entwicklung der Kreisverwaltung aus. Verwaltung wird flexibler, digitaler und zentraler in der Leistungserbringung sowie dezentraler in der Leistungsbereitstellung sein, dass auch die Entwicklung neuer Arbeitsformen nach sich zieht.

Das klassische Zellenbüro als Einzel- oder Doppelarbeitsraum wird für die künftigen Formen der (Zusammen-)Arbeit nicht mehr ausreichen. Bereits heute ist der Bedarf an Besprechungsmöglichkeiten höher als das Angebot. Projektarbeit unterstützen die vorhandenen Räume nicht oder nur bedingt und dann auf Grund der baulichen Gestaltung der Gebäude nur flächenineffizient.

Bewertet man den jetzigen Standort in Kranichstein anhand der aktuellen Erkenntnisse neu, wird ersichtlich, dass die Liegenschaft in Kranichstein zu wenig Potential bietet, die eine Modernisierung und ein Umbau der gesamten Liegenschaft rechtfertigen. Eine Verwertung der Liegenschaft und die Schaffung eines neuen, auf die sich abzeichnenden, aber auch noch zu erarbeitenden Anforderungen der Verwaltung der Zukunft zugeschnittenen Landratsamtes stellen sich als die bessere Alternative dar.

Ausblick:

Diese Fragestellungen können nicht ad hoc oder parallel zum Tagesgeschäft bearbeitet werden. Hierfür wird die Zukunftswerkstatt der Kreisverwaltung etabliert, in der alle Weiterentwicklungsprojekte der Kreisverwaltung gebündelt werden und die für eine Verzahnung, Abstimmung und Steuerung sorgt.

Die Zukunftswerkstatt wird in den kommenden Jahren unter Berücksichtigung transparenter Kommunikation Zukunftsfragen bearbeiten und Innovationsprojekte aufsetzen und begleiten, die sich aus dem Wandel des Verwaltungshandelns ergeben. Die Projektziele werden unter Berücksichtigung der Veränderungstreiber des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels sowie der Digitalisierung stetig hinterfragt.

Das bereits etablierte Projekt „Neue Arbeitswelten“ widmet sich der Entwicklung neuer Arbeitsformen, die in die Errichtung von Pavillons auf der Kranichsteiner Liegenschaft münden. Die Pavillons schaffen sowohl Ausweichflächen und ermöglichen die Erprobung tätigkeitsorientierter Arbeitsflächen.

Unter diesen Voraussetzungen rückt der Fokus auf das Herz der Verwaltung, die Organisation und die Menschen und die Investition in die Hülle der Verwaltung, die Gebäude, wird auf das Notwendigste reduziert. Die Pavillonanlage wird zur Aufnahme der Arbeitsplätze aus dem Trakt 5 benötigt. Um neue Arbeitsformen zu entwickeln, zu testen und gleichzeitig den gestiegenen Raumbedarf zu decken, benötigt es Experimentierräume, die über Jahre evaluiert werden und die nunmehr 2020 in der Anlage entstehen und im Echtbetrieb erprobt werden sollen. Wissenschaftlich wird das Vorhaben im Rahmen des Bundesprojektes „ALLE im digitalen Wandel“ zusammen mit der Hochschule Darmstadt begleitet.

Parallel zum Objekt richtet sich damit der Blick auf die Organisation und deren Arbeitskonzepte sowie den Menschen und dessen Bedürfnisse.

In diesem Kontext übernimmt die Zukunftswerkstatt auch die Umsetzung der Maßnahmen rund um das Onlinezugangsgesetz, das bis Ende 2022 das konkrete Angebot aller Verwaltungsdienstleistungen über das Internet fordert. Das Gesetz fordert jedoch nur die Möglichkeit der Online-Antragstellung, ein anschließender Download und Ausdruck der Daten zur Weiterverarbeitung ist nicht ausgeschlossen, greift aus Sicht der Verwaltung aber zu kurz und ist nicht Ziel des Kreisausschusses. Vielmehr sollen möglichst viele Dienstleistungsprozesse in diesem Rahmen vollständig digitalisiert ablaufen. Die Zukunftswerkstatt ist hierzu auch die Basis, alle Bereiche des Hauses miteinander und den Akteuren auf kommunaler, regionaler und Bundesebene zu vernetzen.

Alle Ergebnisse aus den Projekten der Zukunftswerkstatt fließen in die Entwicklung eines Neubaus an einem neuen Standort ein, denn Büroarchitektur reflektiert Erfolgsfaktoren und ist Ausdruck von Wertschätzung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Mitarbeitenden.