Nachtrag: 14.08.2019
Sitzung: 02.09.2019 Haupt- und Finanzausschuss
Beschluss: Kenntnis genommen
Vorlage: 2457-2019/DaDi
Landrat Schellhaas gibt die nachstehende kurze Zusammenfassung der Gründe zur Kenntnis, die zur Weiterentwicklung des Masterplan-Gedankens für den Standort Kranichstein zur Zukunftswerkstatt geführt haben.
Der 2004 bezogene Standort Jägertorstraße 207 wurde in mehreren Schritten baulich und funktional untersucht, seine Vor- und Nachteile und die erforderlichen Maßnahmen zur Sanierung und Modernisierung erarbeitet, geplant und von mehreren Stellen bewertet sowie auch mit den Genehmigungsbehörden der Stadt Darmstadt besprochen.
Im Ergebnis kommt der Kreisausschuss zu dem Ergebnis, dass der Standort auf Grund der grundlegend veränderten Rahmenbedingungen für die Kreisverwaltung keine langfristig angelegte Perspektive mehr bietet.
Rückblick:
Die Ursprungsidee des „Masterplanes 2020+“ beinhaltete den
Gedanken der Verdichtung der Kreisverwaltung auf der Liegenschaft in
Kranichstein und in Folge dessen deren Zentralisierung und Auflösung der
kleineren Außenstellen.
Dazu sollten ausgehend von 900 bereits heute möglichen 1.000 bis 1.200
Arbeitsplätze am Standort entstehen. An diese besteht der Anspruch die Arbeit
einer digitalen, serviceorientierten Verwaltung baulich, funktional sowie
konzeptionell zu unterstützen. Gleichzeitig sollten die Zugangssituation
geklärt, ein zentrales Servicegebäude entstehen, an das sich alle
Verwaltungsbereiche anschließen, und die Parksituation durch die Schaffung
zweier Parkhäuser verbessert werden.
Nach Durchführung des Städtebaulichen Ideenwettbewerbes im Herbst
2018 wurde deutlich, dass das Potential des Standortes Kranichstein
ausgeschöpft ist und die Liegenschaft den genannten Herausforderungen künftig
nicht gerecht werden kann:
Eine Verkehrsstudie belegt, dass der Knotenpunkt Kranichsteiner
Straße/Jägertorstraße bereits heute überlastet ist. Durch den Ausbau der
Kreisverwaltung würde der motorisierte Individualverkehr zunehmen und
damit die Stellplatzsituation im Quartier und innerhalb der Liegenschaft
verschlechtern.
Im Zuge der angekündigten Ertüchtigung der Jägertorstraße durch die
Stadt Darmstadt in den nächsten Jahren wird es keine Maßnahmen zur Verbesserung
der motorisierten individualverkehrlichen Erschließung geben, was jedoch auf
absehbare Zeit für die Erreichbarkeit der Kreisverwaltung der wichtigste Faktor
bleiben wird.
Eine klare Struktur auf der Liegenschaft im Hinblick auf die Zugangssituation
ist durch die verschiedenen Gebäudetrakte kaum möglich, erschwert die
Orientierung für die Besucherinnen und Besucher und birgt durch die hohe Anzahl
an Zugängen große Sicherheitsrisiken. Selbst eine im städtebaulichen
Ideenwettbewerb untersuchte Änderung des Haupteingangs von der Nord- auf die
Südseite (über die Feuerwehrzufahrt der Jägertorstraße) ergibt keine
befriedigende Lösung. Zwar wäre das südlich geplante Besucherparkhaus besser
anzuschließen, ein zweites erforderliches Parkhaus im Nordosten für die 1.200
Bediensteten würde weiterhin über die Hammelstrift erschlossen werden müssen.
Der Erhalt des Frei- und Grünflächengürtels, der erheblich zum
Erhalt des Mikroklimas und der Artenvielfalt in Kranichstein beiträgt, war
immer Ziel des Prozesses, schränkt aber andererseits die Flexibilität in der
weiteren Bebaubarkeit erheblich ein.
Die gewerbliche Nutzung der Liegenschaft und des umliegenden Bereichs
war zum Zeitpunkt der Bebauung prägender Teil der Planung, kam jedoch durch
veränderte Planungen nie zur weiteren Ausführung. Der Standort ist damit
mittlerweile ein Solitär, umgeben von Wohnbebauung und damit in der baulichen
Entwicklung (z. B. Höhe der Bebaubarkeit) stark eingeschränkt. Der
städtebauliche Ideenwettbewerb hat dies unter Berücksichtigung der vom
städtischen Planungsamt gemachten Vorgaben untersucht und bestätigt.
Die fortschreitende Bestandsanalyse des baulichen Zustandes der
Gebäude auf der Liegenschaft dokumentiert große ganzheitliche Defizite, die mit
anderen bereits genannten Gründen der Hauptauslöser für den „Masterplan
2020+“-Prozess waren.
Insbesondere aus dem Bereich des Brandschutzes und der Bauphysik in
den Trakten 2 bis 4 und deren geringer Flächeneffizienz sowie der
Notwendigkeit einer Umlagerung der Technikzentrale (Landkreis und
ENTEGA) aus Trakt 1 inklusive der starken Baustoffbelastung des Flachbaus
resultieren hohe Investitionen. Allein die Verlegung der Technikzentrale, die
gemeinsam mit der ENTEGA geplant wurde, resultiert mit Kosten über 2 Mio. EUR.
In Trakt 5 erfolgten im Rahmen der vertiefenden Untersuchungen
Öffnungen von Bauteilen. Die neu gewonnenen Erkenntnisse insbesondere zum
konstruktiven Aufbau der Büroetage führen nur noch zum Schluss, dass die
Brandschutzanforderungen nicht mehr sanierend erfüllt werden können, so dass
die Nutzung mit Ablauf des Jahres 2020 enden muss und bis dahin kompensierende
Maßnahmen den Betrieb sichern. Einem Ersatz oder einer Ertüchtigung stehen weitere
baulich-technische (Ver- und Entsorgung, Medienversorgung), statische (das
darunter liegende Parkdeck kann nur noch begrenzt zusätzliche Lasten aufnehmen)
und die damit verbundenen Kostenaspekte entgegen.
Der Erhalt des Parkdecks erfordert bereits heute eine ebenso aufwändige
Betonsanierung.
Eine ganzheitliche Umsetzung der Modernisierung und Ertüchtigung unter
Berücksichtigung der unterschiedlichen Technikstände der Gesamtanlage ist sehr
komplex und aufgrund des hohen Alters der Gebäudetrakte nicht oder nur durch
teilweise oder vollständige Neuerrichtung realisierbar, was einen Rückbau oder
Abriss einzelner Gebäudetrakte erforderlich macht; egal welche weitere
Entwicklung folgt.
Hierbei handelt es sich z.B. um die Umsetzung eines Brandschutzkonzeptes,
die Instandsetzung der verschiedenen Heiz-, Fernwärme- bzw. Lüftungsanlagen,
die Erneuerung der Fassaden der Trakte 2, 3 und 4 inkl. Sonnenschutz
und Dachhaut, Erneuerung der Elektroinstallationen im Hinblick
auf aktuelle Standards und neue Technologien, Schadstoffbeseitigung, Aufzugsanlagen,
Barrierefreiheit, Frei- und Grünflächen etc.
Bereits mit dem Kenntnisstand 2014 f. wurde im Rahmen der Erstellung des
damaligen Masterplan 2020+ eine Kostenbetrachtung von zwei in Frage kommenden Szenarien
zur Weiterentwicklung des Standorts (Szenarien 1 und 2) durchgeführt und mit
einem Szenario 0 verglichen. Das Szenario 0 nahm an, dass erforderliche
Sanierungsmaßnahmen am Standort durchgeführt werden, jeglicher Aufwuchs an
Arbeitsplätzen jedoch durch externe Anmietungen und ohne Zubauten erfolgen und
im Übrigen keine Anpassungen der Arbeitsplatzgestaltung an neue
Herausforderungen der Digitalisierung, Projektarbeit usw. erfolgen. Die mit den
Szenarien verbundenen Kosten wurden über einen Zeitraum von 30 Jahren
hochgerechnet.
Im Ergebnis erwies sich das Szenario 0 über den Betrachtungszeitraum von
30 Jahren als mit knapp 100 Mio. EUR als die teuerste Variante.
Trotz erheblicher Investitionen in den ersten Betriebsjahren des
Betrachtungszeitraums und höherem Kosten-Nutzen-Faktor schnitten die Szenarien
1 und 2 in der langfristigen Betrachtung bis zu rund 10 % kostengünstiger ab.
Nach dem ernüchternden Ergebnis des städtebaulichen Wettbewerbs im
Herbst 2018 bot das Moratorium der ungesicherten Finanzierung wegen der
Unwägbarkeiten der durch die Hessenkasse belassenen Spielräume Gelegenheit zur
Reflektion und Neubewertung der vorliegenden Erkenntnisse. Der Wettbewerb
zeigte dabei mindestens zwei grundlegende Ergebnisse. Die aufgezeigten Defizite
sind nur aufwändig und mit neuen Kompromissen (z. B. die Zugangssituation) zu
lösen und mit der Umsetzung ist das Standortpotential vollständig
aufgebraucht.
Die Ankündigung der Anmietung eines weiteren Standortes zur
Aufnahme neuer Bediensteter löste bei den Mitarbeitenden die Bereitschaft
zum Zusammenrücken und zur Entwicklung neuer Telearbeitskonzepte
aus. Es wird erkenntlich, dass die Bediensteten einer weiteren
Dezentralisierung und dem damit verbundenen Verlust des Gemeinschaftsgefühls
versuchen, entgegenzuwirken und den Wunsch zur Zusammenarbeit an einem Standort
haben. Insofern ist ein umfassenderes Telearbeitsangebot zwar Teil einer
Lösung, kann aber keinesfalls die einzige Lösung bleiben.
Die fortschreitende Digitalisierung sowie die öffentliche Debatte
„Verwaltung 4.0“ wirken sich ebenfalls nachhaltig auf die Diskussion und
die damit verbundene Vision der künftigen Entwicklung der Kreisverwaltung aus.
Verwaltung wird flexibler, digitaler und zentraler in der Leistungserbringung
sowie dezentraler in der Leistungsbereitstellung sein, dass auch die Entwicklung
neuer Arbeitsformen nach sich zieht.
Das klassische Zellenbüro als Einzel- oder Doppelarbeitsraum wird für
die künftigen Formen der (Zusammen-)Arbeit nicht mehr ausreichen. Bereits heute
ist der Bedarf an Besprechungsmöglichkeiten höher als das Angebot.
Projektarbeit unterstützen die vorhandenen Räume nicht oder nur bedingt und
dann auf Grund der baulichen Gestaltung der Gebäude nur flächenineffizient.
Bewertet man den jetzigen Standort in Kranichstein anhand der aktuellen
Erkenntnisse neu, wird ersichtlich, dass die Liegenschaft in Kranichstein zu
wenig Potential bietet, die eine Modernisierung und ein Umbau der gesamten
Liegenschaft rechtfertigen. Eine Verwertung der Liegenschaft und die Schaffung
eines neuen, auf die sich abzeichnenden, aber auch noch zu erarbeitenden
Anforderungen der Verwaltung der Zukunft zugeschnittenen Landratsamtes stellen
sich als die bessere Alternative dar.
Ausblick:
Diese Fragestellungen können nicht ad hoc oder parallel zum
Tagesgeschäft bearbeitet werden. Hierfür wird die Zukunftswerkstatt der
Kreisverwaltung etabliert, in der alle Weiterentwicklungsprojekte der
Kreisverwaltung gebündelt werden und die für eine Verzahnung, Abstimmung und Steuerung
sorgt.
Die Zukunftswerkstatt wird in den kommenden Jahren unter
Berücksichtigung transparenter Kommunikation Zukunftsfragen bearbeiten und
Innovationsprojekte aufsetzen und begleiten, die sich aus dem Wandel des
Verwaltungshandelns ergeben. Die Projektziele werden unter Berücksichtigung der
Veränderungstreiber des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels sowie
der Digitalisierung stetig hinterfragt.
Das bereits etablierte Projekt „Neue Arbeitswelten“ widmet sich
der Entwicklung neuer Arbeitsformen, die in die Errichtung von Pavillons auf
der Kranichsteiner Liegenschaft münden. Die Pavillons schaffen sowohl Ausweichflächen
und ermöglichen die Erprobung tätigkeitsorientierter Arbeitsflächen.
Unter diesen Voraussetzungen rückt der Fokus auf das Herz der
Verwaltung, die Organisation und die Menschen und die Investition in
die Hülle der Verwaltung, die Gebäude, wird auf das Notwendigste
reduziert. Die Pavillonanlage wird zur Aufnahme der Arbeitsplätze aus dem Trakt
5 benötigt. Um neue Arbeitsformen zu entwickeln, zu testen und gleichzeitig den
gestiegenen Raumbedarf zu decken, benötigt es Experimentierräume, die
über Jahre evaluiert werden und die nunmehr 2020 in der Anlage entstehen und im
Echtbetrieb erprobt werden sollen. Wissenschaftlich wird das Vorhaben im Rahmen
des Bundesprojektes „ALLE im digitalen Wandel“ zusammen mit der
Hochschule Darmstadt begleitet.
Parallel zum Objekt richtet sich damit der Blick auf die Organisation
und deren Arbeitskonzepte sowie den Menschen und dessen Bedürfnisse.
In diesem Kontext übernimmt die Zukunftswerkstatt auch die Umsetzung der
Maßnahmen rund um das Onlinezugangsgesetz, das bis Ende 2022 das
konkrete Angebot aller Verwaltungsdienstleistungen über das Internet fordert.
Das Gesetz fordert jedoch nur die Möglichkeit der Online-Antragstellung, ein
anschließender Download und Ausdruck der Daten zur Weiterverarbeitung ist nicht
ausgeschlossen, greift aus Sicht der Verwaltung aber zu kurz und ist nicht Ziel
des Kreisausschusses. Vielmehr sollen möglichst viele Dienstleistungsprozesse
in diesem Rahmen vollständig digitalisiert ablaufen. Die
Zukunftswerkstatt ist hierzu auch die Basis, alle Bereiche des Hauses
miteinander und den Akteuren auf kommunaler, regionaler und Bundesebene zu
vernetzen.
Alle Ergebnisse aus den Projekten der Zukunftswerkstatt fließen in die Entwicklung
eines Neubaus an einem neuen Standort ein, denn Büroarchitektur reflektiert
Erfolgsfaktoren und ist Ausdruck von Wertschätzung gegenüber den Bürgerinnen und
Bürgern sowie den Mitarbeitenden.