Nachtrag: 27.03.2019
Sitzung: 01.04.2019 Haupt- und Finanzausschuss
Beschluss: Kenntnis genommen
Vorlage: 2185-2019/DaDi
Die am 4.2.2019 eingegangene Stellungnahme des Abg. Mohrmann (F21) wird zur Kenntnis genommen.
Herr Mohrmann begründet seine weisungswidrige Abstimmung in der DADINA-Verbandsversammlung im Wesentlichen mit folgenden Argumenten (kursiv), die seitens des Kreisausschusses wie folgt bewertet werden:
1. Die Satzungsänderung verstoße gegen die
Verordnung EG 1370/2007.
Von der Rechtswidrigkeit der Satzungsänderung wird nicht ausgegangen. Im Vorfeld der Satzungsänderung wurde diese im Auftrag des Landkreises Darmstadt-Dieburg durch die Berliner Kanzlei Müller-Wrede & Partner geprüft. Die Ergebnisse der Prüfung wurden in der Begründung der Verwaltungsvorlage Nummer 1129-2017/DaDi dargestellt.
2. Das Verfahren der Weisungserteilung sei
offenkundig rechtswidrig. Die Satzungsänderung bedürfe einer Mehrheit von ¾ der
abgegebenen Stimmen gemäß § 33 Abs.1 BGB. Diese Mehrheit sei ohne Weisung nicht
zu erreichen gewesen. Aus diesem Grund sei die Weisung erteilt worden. Die
Weisung sei mit einfacher Mehrheit im Kreistag beschlossen worden. Die
Verfahrensweise diene dazu, das gesetzlich verbriefte Minderheitenrecht des §
33 Abs. 1 Satz 1 BGB auszuhebeln.
Nach § 21 I 1 KGG ist eine 2/3 Mehrheit für die Änderung der Zweckverbandssatzung notwendig. § 33 Abs.1 BGB ist nicht anwendbar. Nach § 15 Abs. 2a KGG können Verbandsmitglieder ihre Vertreter anweisen, wie sie in der Verbandsversammlung abzustimmen haben. Die Mehrheit hinsichtlich der Beschlussfassung des Kreistages richtet sich nach § 32 HKO (Verweis auf §§ 52-55, § 56 I 1 und II HGO) i.V.m. § 54 HGO. Danach werden Beschlüsse, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Da hiervon keine abweichende gesetzliche Regelung ersichtlich ist, liegt kein Verfahrensfehler hinsichtlich der erteilten Weisung vor.
3. Durch im Vorfeld erstellte Gutachten zu
Sanktionsmöglichkeiten seien die Vertreter der DADINA-Verbandsversammlung
rechtswidrig genötigt worden. Offenkundig rechtswidrig sei das Weisungsrecht
dazu missbraucht worden, das Quorum für eine Satzungsänderung zu umgehen.
Es liegt keine rechtswidrigen Nötigung vor. Es ging vielmehr um eine grundsätzliche Klärung, da bislang Weisungen nicht erteilt wurden. Ein Missbrauch des Weisungsrechts, um das Quorum der Verbandsversammlung zu umgehen, ist nicht ersichtlich. Eine spezialgesetzliche Regelung dahingehend, dass der Weisungsbeschluss der Entsendungskörperschaft mit entsprechender Mehrheit zu den Regelungen des KGG zu treffen ist, gibt es nicht.
4. Das KGG sehe keine Sanktionsmöglichkeiten
vor bei weisungswidrigem Abstimmungsverhalten. Die Regelungslücke könne nicht
durch Analogieschluss geschlossen werden, zumal es sich um eine Sanktionsnorm
handele. Die abweichende Regelung in § 11 Abs. 5 Nr.3 MetropolG zeige, dass die
Regelungslücke im MetropolG geschlossen wurde, im KGG demgegenüber gerade
nicht.
Richtig ist,
dass es keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für eine Abberufung im KGG gibt.
Gemäß Stellungnahme des Regierungspräsidiums Darmstadt, abgestimmt mit der
Obersten Aufsichtsbehörde beim HMdIS, ist die Abberufung unter entsprechender
Anwendung des § 86 HVwVfG möglich, da § 15 Abs. 2a KGG eine vergleichbare
Regelung zu § 11 Abs. 5 Nr. 3 MetropolG darstellt und dieser eine Abberufung in
entsprechender Anwendung des § 86
HVwVfG vorsieht. Außerdem bestehe auch die Möglichkeit der Rüge. Die Auffassung
Herrn Mohrmanns, dass die Regelungslücke im MetropolG geschlossen wurde, im KGG
demgegenüber nicht, und daher eine entsprechende Anwendung des § 86 HVwVfG nicht in Frage komme, dürfte
zumindest rechtlich streitbar sein. Beides ist denkbar. Ob es sich hier um eine
im Wege der Analogie zu schließenden Regelungslücke handelt oder nicht, wäre
gerichtlich zu entscheiden. Schließlich wäre in Erwägung zu ziehen, dass es
einer analogen Anwendung des § 86 HVwVG nicht bedarf, sofern in dieser Regelung
ein allgemeiner Rechtsgedanke zu sehen ist, der als solcher im Kontext mit
ehrenamtlicher Tätigkeit immer herangezogen werden kann.
5. Er halte es für fraglich, ob überhaupt
ein Weisungsrecht bestehe. Die Vertreterversammlung sei nach dem politischen
Proporz zusammengesetzt. Sofern Vertreter nach dem System des Proporz gewählt
seien, sei es schlüssig anzunehmen, dass diese ein „freies Mandat“ innehätten.
Das freie Mandat habe grundsätzlich Verfassungsrang. Er sei nicht bereit, bzw.
war nicht bereit, sich einem Beschluss zu beugen, den er inhaltlich und von der
gewählten Verfahrensweise her für offenkundig rechtswidrig halte.
Hier wird der von Herrn Mohrmann vertretenen Rechtsauffassung nicht gefolgt. Die ausdrücklich angeordnete Weisungsgebundenheit schränkt zwar einerseits die Freiheit der Mandatsausübung ein, sie ist andererseits aber ein konsequenter Ausfluss der Tatsache, dass die Vertreter in der Verbandsversammlung in erster Linie die Interessen der entsendenden Gemeinde zu wahren haben und kein unabhängiges Mandat ausüben. Rechtsgrundlage für das Weisungsrecht ist die vom Gesetzgeber in § 15 Abs. 2a KGG getroffene Regelung.
In der Gesetzesbegründung der hessischen Landesregierung zu § 15 Abs. 2a KGG heißt es:
„Die
Weisungsgebundenheit der von den Verbandsmitgliedern in die Verbandsversammlung
gewählte Vertreterinnen und Vertreter ist dem Zweckverbandsrecht immanent.
Aufgabe eines Vertreters ist es, in erster Linie die Mitgliedschaftsrechte und
Interessen der entsendenden Kommune wahrzunehmen. Mit der Weisungsgebundenheit
wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Verbandsmitglieder mittels des
Verbandes Aufgaben gemeinsam wahrnehmen, die sie aus ihrer eigenen
Zuständigkeit in die Trägerschaft des Verbandes abgegeben haben.
Die Vertreterinnen und Vertreter können daher von den entsendenden Verbandsmitgliedern zu einzelnen Verbandsentscheidungen Weisungen empfangen. Sie sind an diese Weisungen im Innenverhältnis gebunden.“
Aus
der Stellungnahme Herrn Mohrmanns im Rahmen der Anhörung ergeben sich folgende
Fragestellungen, die der Kreistag bei seiner Entscheidung berücksichtigen muss:
Berechtigt die Auffassung, dass ein
herbeizuführender Kreistagsbeschluss rechtswidrig ist (Satzungsänderung und
Weisung) für sich genommen, gegen eine erteilte Weisung abzustimmen, ohne zuvor
Maßnahmen ergriffen zu haben, mit dem Ziel, eine gegenteilige Beschlussfassung
zu erreichen bzw. ohne gerichtliche Klärung vorab?
Nach diesseitiger Kenntnis hat Herr Mohrmann
den Beschluss im Kreistag ohne Begründung abgelehnt.
Als Organteil des Kreistages hätte Herr
Mohrmann die Möglichkeit gehabt, im Wege des
Kommunalverfassungsstreitverfahrens mit seinen im Rahmen der Anhörung
vorgebrachten Argumenten eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Von dieser
Möglichkeit hat Herr Mohrmann keinen Gebrauch gemacht. Zwischen der Verbandsversammlung
(am 24.05.2018) und dem Kreistagsbeschluss (vom 23.04.2018) hätte die Prüfung
seiner rechtlichen Bedenken im Rahmen eines gerichtlichen Eilverfahrens
erfolgen und gegebenenfalls die Beschlussfassung in der Verbandsversammlung bis
zum Abschluss des gerichtlichen Eilverfahrens zurückgestellt werden können.
Allerdings zeigen die Voraussetzungen des
Kommunalverfassungsstreitverfahrens auch auf, dass Herr Mohrmann in seiner
Stellung als Kreistagsabgeordneter bereits im Vorfeld Möglichkeiten gehabt hätte,
die Beschlussfassung abzuwenden.
Das Recht auf die Geltendmachung von
Rechtsverletzungen im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreites kann nämlich
dann verloren gehen und damit zu einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis im
gerichtlichen Verfahren führen, wenn das Organ oder Organteil während der
Sitzung der Vertretungskörperschaft nicht bereits die Fehlerhaftigkeit des
Verfahrens gerügt hat. Denn
die Klage verletzt dann den Grundsatz der Organtreue. Diese verlangt
insbesondere die rechtzeitige Rüge des beabsichtigten, für rechtswidrig
gehaltenen Verfahrens gegenüber dem Organ selbst. Unterbleibt die rechtzeitige
Rüge, kann die vermeintliche Rechtswidrigkeit der fraglichen Verfahrensweise
später im Rahmen einer Feststellungsklage nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht
werden. Denn durch die unterlassene Rüge ist dem Organ die Möglichkeit genommen
worden, die Einwände zu prüfen und ggf. für Abhilfe Sorge zu tragen.
Darüber hinaus ist nach den hier
vorliegenden Kenntnissen nicht ersichtlich, dass Herr Mohrmann vorab von seinen
Rechten nach § 29 Abs. 2 HKO Gebrauch gemacht hat (Fragerecht, Anfragerecht).
Auch ist nicht bekannt, dass Herr Mohrmann in sonstiger Weise, z.B. Herantreten
an die Kommunalaufsicht, irgendetwas unternommen hat, um die nach seiner Auffassung
vorliegende Rechtswidrigkeit einer Prüfung zu unterziehen.
Im Ergebnis rechtfertigt seine Stellungnahme
im Rahmen der Anhörung daher nicht sein weisungswidriges Abstimmungsverhalten.
Welche Maßnahmen sind bei weisungswidrigem
Abstimmungsverhalten denkbar?
Geht man von einer Abberufungsmöglichkeit in
entsprechender Anwendung des § 86 HVwVfG aus, kann eine Person, die zu
ehrenamtlicher Tätigkeit herangezogen wurde,
von der Stelle, die sie berufen hat,
abberufen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger Grund
liegt nach der gesetzlichen Regelung
insbesondere vor, wenn der ehrenamtlich Tätige
1. seine Pflicht gröblich verletzt oder sich
als unwürdig erwiesen hat,
2. seine Tätigkeit nicht mehr ordnungsgemäß
ausüben kann.
Im Kontext mit der Stellungnahme im Rahmen
der Anhörung und den obigen Ausführungen kann von einer gröblichen
Pflichtverletzung und damit dem Vorliegen eines wichtigen Grundes wohl
ausgegangen werden. Herr Mohrmann ist im Innenverhältnis als in die
Verbandsversammlung entsandter Vertreter grundsätzlich verpflichtet, die
Interessen des entsendenden Mitglieds zu vertreten. Die Mehrheit des Kreistags
war für die Satzungsänderung. Ein entsprechender Beschluss wurde gefasst.
Aufgrund der für den Landkreis wesentlichen Bedeutung der Satzungsänderung
wurde zudem die Weisung an die Vertreter erteilt, der Satzungsänderung
zuzustimmen. Entgegen der erteilten Weisung und dem mehrheitlichen Wunsch der
Satzungsänderung hat Herr Mohrmann gegen die Satzungsänderung gestimmt. Hierin
ist eine gröbliche Pflichtverletzung zu sehen.
Allerdings
steht die Abberufung im Ermessen der berufenden Stelle, die Abberufung
ist nicht zwingend.
Im Rahmen der Ermessensausübung müssen
sachgerechte Erwägungen gewichtet und gegeneinander abgewogen werden. Erst
danach kann eine Entscheidung getroffen werden, wie verfahren werden soll.
Erwägungen, die in die Ermessensentscheidung
mit einbezogen werden sollten, sind u.a. folgende:
- Besteht eine Wiederholungsgefahr? Das wäre dann der Fall, wenn
während der laufenden Amtszeit mit weiteren Weisungen zu rechnen ist und
Herr Mohrmann absehbar nicht entsprechend einer erteilten Weisung
abstimmt.
Hier wäre zu berücksichtigen, dass es sich bei der erteilten Weisung
nach diesseitiger Kenntnis um die erste Weisung überhaupt gehandelt hat und vom
Recht der Weisungserteilung bislang kein Gebrauch gemacht wurde. Auch die
Weisungserteilung steht im Ermessen des Mitglieds, sodass regelhaft wohl davon ausgegangen
werden kann, dass vom Weisungsrecht nur in Fällen mit besonderer Bedeutung
Gebrauch gemacht werden wird. Nach dem aktuellen Vorbringen Herrn Mohrmanns ist
zwar damit zu rechnen, dass er das Weisungsrecht und das Verfahren
grundsätzlich ablehnt, allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass er
sich in einem etwaigen weiteren Verfahren abweichend verhält.
- Es handelt sich um die erstmalige Pflichtverletzung durch
weisungswidriges Abstimmungsverhalten.
Wie war das sonstige Verhalten in der bisherigen Amtszeit (vor und nach
Erteilung der Weisung)? Gab es weitere Anlässe, in denen Herr Mohrmann als
entsandter Vertreter gegen die Interessen des Landkreises als Mitglied der
Verbandsversammlung agiert hat?
- Ist das Vertrauensverhältnis insgesamt so zerstört, dass eine
weitere Vertretung für den Landkreis schlichtweg unzumutbar ist?
- Ein Schaden ist durch das Abstimmungsverhalten nicht entstanden.
Der Beschluss wurde in der Verbandsversammlung auch ohne die Zustimmung
Herrn Mohrmanns gefasst. Die Stimme Herrn Mohrmanns war nicht
ausschlaggebend.
Die Abberufung müsste zudem den Grundsätzen
der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
Das heißt, sie müsste ein zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignetes und erforderliches Mittel und insgesamt angemessen sein.
Hier wäre zunächst die Frage zu beantworten, welcher Zweck mit der Abberufung verfolgt werden soll.
Sieht man im Zweck die Vermeidung eines künftigen weisungswidrigen Abstimmungsverhaltens, dann wäre die Abberufung grundsätzlich ein geeignetes Mittel.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Abberufung den größten Eingriff in die Rechte des Vertreters darstellt. Diesbezüglich wäre zu prüfen, ob die Abberufung das einzige Mittel zur Zweckerreichung ist oder ob hierfür „mildere“ Mittel, wie etwa die Erteilung einer Rüge, ebenso geeignet wären.
Insgesamt müsste im Rahmen einer Gesamtabwägung festgestellt werden, dass die Zweckerreichung, die lediglich über die Abberufung erzielt werden kann, gewichtiger ist, als das Recht des Vertreters, bis zum Ablauf der Amtszeit im Amt zu bleiben.
Diese Entscheidung obliegt dem Kreistag. Die entsprechende Umsetzung erfolgt durch den Kreisausschuss als Verwaltungsbehörde.