Nachtrag: 27.03.2019

Beschluss: Kenntnis genommen

Die am 4.2.2019 eingegangene Stellungnahme des Abg. Mohrmann (F21) wird zur Kenntnis genommen.

 

Herr Mohrmann begründet seine weisungswidrige Abstimmung in der DADINA-Verbandsversammlung im Wesentlichen mit folgenden Argumenten (kursiv), die seitens des Kreisausschusses wie folgt bewertet werden:

 

1. Die Satzungsänderung verstoße gegen die Verordnung EG 1370/2007.

 

Von der Rechtswidrigkeit der Satzungsänderung wird nicht ausgegangen. Im Vorfeld der Satzungsänderung wurde diese im Auftrag des Landkreises Darmstadt-Dieburg durch die Berliner Kanzlei Müller-Wrede & Partner geprüft. Die Ergebnisse der Prüfung wurden in der Begründung der Verwaltungsvorlage Nummer 1129-2017/DaDi dargestellt.

 

2. Das Verfahren der Weisungserteilung sei offenkundig rechtswidrig. Die Satzungsänderung bedürfe einer Mehrheit von ¾ der abgegebenen Stimmen gemäß § 33 Abs.1 BGB. Diese Mehrheit sei ohne Weisung nicht zu erreichen gewesen. Aus diesem Grund sei die Weisung erteilt worden. Die Weisung sei mit einfacher Mehrheit im Kreistag beschlossen worden. Die Verfahrensweise diene dazu, das gesetzlich verbriefte Minderheitenrecht des § 33 Abs. 1 Satz 1 BGB auszuhebeln.

 

Nach § 21 I 1 KGG ist eine 2/3 Mehrheit für die Änderung der Zweckverbandssatzung notwendig. § 33 Abs.1 BGB ist nicht anwendbar. Nach § 15 Abs. 2a KGG können Verbandsmitglieder ihre Vertreter anweisen, wie sie in der Verbandsversammlung abzustimmen haben. Die Mehrheit hinsichtlich der Beschlussfassung des Kreistages richtet sich nach § 32 HKO (Verweis auf §§ 52-55, § 56 I 1 und II HGO) i.V.m. § 54 HGO. Danach werden Beschlüsse, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Da hiervon keine abweichende gesetzliche Regelung ersichtlich ist, liegt kein Verfahrensfehler hinsichtlich der erteilten Weisung vor.

 

3. Durch im Vorfeld erstellte Gutachten zu Sanktionsmöglichkeiten seien die Vertreter der DADINA-Verbandsversammlung rechtswidrig genötigt worden. Offenkundig rechtswidrig sei das Weisungsrecht dazu missbraucht worden, das Quorum für eine Satzungsänderung zu umgehen.

 

Es liegt keine rechtswidrigen Nötigung vor. Es ging vielmehr um eine grundsätzliche Klärung, da bislang Weisungen nicht erteilt wurden. Ein Missbrauch des Weisungsrechts, um das Quorum der Verbandsversammlung zu umgehen, ist nicht ersichtlich. Eine spezialgesetzliche Regelung dahingehend, dass der Weisungsbeschluss der Entsendungskörperschaft mit entsprechender Mehrheit zu den Regelungen des KGG zu treffen ist, gibt es nicht.

 

4. Das KGG sehe keine Sanktionsmöglichkeiten vor bei weisungswidrigem Abstimmungsverhalten. Die Regelungslücke könne nicht durch Analogieschluss geschlossen werden, zumal es sich um eine Sanktionsnorm handele. Die abweichende Regelung in § 11 Abs. 5 Nr.3 MetropolG zeige, dass die Regelungslücke im MetropolG geschlossen wurde, im KGG demgegenüber gerade nicht.

 

Richtig ist, dass es keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für eine Abberufung im KGG gibt. Gemäß Stellungnahme des Regierungspräsidiums Darmstadt, abgestimmt mit der Obersten Aufsichtsbehörde beim HMdIS, ist die Abberufung unter entsprechender Anwendung des § 86 HVwVfG möglich, da § 15 Abs. 2a KGG eine vergleichbare Regelung zu § 11 Abs. 5 Nr. 3 MetropolG darstellt und dieser eine Abberufung in entsprechender Anwendung des      § 86 HVwVfG vorsieht. Außerdem bestehe auch die Möglichkeit der Rüge. Die Auffassung Herrn Mohrmanns, dass die Regelungslücke im MetropolG geschlossen wurde, im KGG demgegenüber nicht, und daher eine entsprechende Anwendung des  § 86 HVwVfG nicht in Frage komme, dürfte zumindest rechtlich streitbar sein. Beides ist denkbar. Ob es sich hier um eine im Wege der Analogie zu schließenden Regelungslücke handelt oder nicht, wäre gerichtlich zu entscheiden. Schließlich wäre in Erwägung zu ziehen, dass es einer analogen Anwendung des § 86 HVwVG nicht bedarf, sofern in dieser Regelung ein allgemeiner Rechtsgedanke zu sehen ist, der als solcher im Kontext mit ehrenamtlicher Tätigkeit immer herangezogen werden kann.

 

5. Er halte es für fraglich, ob überhaupt ein Weisungsrecht bestehe. Die Vertreterversammlung sei nach dem politischen Proporz zusammengesetzt. Sofern Vertreter nach dem System des Proporz gewählt seien, sei es schlüssig anzunehmen, dass diese ein „freies Mandat“ innehätten. Das freie Mandat habe grundsätzlich Verfassungsrang. Er sei nicht bereit, bzw. war nicht bereit, sich einem Beschluss zu beugen, den er inhaltlich und von der gewählten Verfahrensweise her für offenkundig rechtswidrig halte.

 

Hier wird der von Herrn Mohrmann vertretenen Rechtsauffassung nicht gefolgt. Die ausdrücklich angeordnete Weisungsgebundenheit schränkt zwar einerseits die Freiheit der Mandatsausübung ein, sie ist andererseits aber ein konsequenter Ausfluss der Tatsache, dass die Vertreter in der Verbandsversammlung in erster Linie die Interessen der entsendenden Gemeinde zu wahren haben und kein unabhängiges Mandat ausüben. Rechtsgrundlage für das Weisungsrecht ist die vom Gesetzgeber in § 15 Abs. 2a KGG getroffene Regelung.

 

In der Gesetzesbegründung der hessischen Landesregierung zu § 15 Abs. 2a KGG heißt es:

 

Die Weisungsgebundenheit der von den Verbandsmitgliedern in die Verbandsversammlung gewählte Vertreterinnen und Vertreter ist dem Zweckverbandsrecht immanent. Aufgabe eines Vertreters ist es, in erster Linie die Mitgliedschaftsrechte und Interessen der entsendenden Kommune wahrzunehmen. Mit der Weisungsgebundenheit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Verbandsmitglieder mittels des Verbandes Aufgaben gemeinsam wahrnehmen, die sie aus ihrer eigenen Zuständigkeit in die Trägerschaft des Verbandes abgegeben haben.

Die Vertreterinnen und Vertreter können daher von den entsendenden Verbandsmitgliedern zu einzelnen Verbandsentscheidungen Weisungen empfangen. Sie sind an diese Weisungen im Innenverhältnis gebunden.

 

Aus der Stellungnahme Herrn Mohrmanns im Rahmen der Anhörung ergeben sich folgende Fragestellungen, die der Kreistag bei seiner Entscheidung berücksichtigen muss:

 

Berechtigt die Auffassung, dass ein herbeizuführender Kreistagsbeschluss rechtswidrig ist (Satzungsänderung und Weisung) für sich genommen, gegen eine erteilte Weisung abzustimmen, ohne zuvor Maßnahmen ergriffen zu haben, mit dem Ziel, eine gegenteilige Beschlussfassung zu erreichen bzw. ohne gerichtliche Klärung vorab?

 

Nach diesseitiger Kenntnis hat Herr Mohrmann den Beschluss im Kreistag ohne Begründung abgelehnt.

 

Als Organteil des Kreistages hätte Herr Mohrmann die Möglichkeit gehabt, im Wege des Kommunalverfassungsstreitverfahrens mit seinen im Rahmen der Anhörung vorgebrachten Argumenten eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Von dieser Möglichkeit hat Herr Mohrmann keinen Gebrauch gemacht. Zwischen der Verbandsversammlung (am 24.05.2018) und dem Kreistagsbeschluss (vom 23.04.2018) hätte die Prüfung seiner rechtlichen Bedenken im Rahmen eines gerichtlichen Eilverfahrens erfolgen und gegebenenfalls die Beschlussfassung in der Verbandsversammlung bis zum Abschluss des gerichtlichen Eilverfahrens zurückgestellt werden können.

 

Allerdings zeigen die Voraussetzungen des Kommunalverfassungsstreitverfahrens auch auf, dass Herr Mohrmann in seiner Stellung als Kreistagsabgeordneter bereits im Vorfeld Möglichkeiten gehabt hätte, die Beschlussfassung abzuwenden.

 

Das Recht auf die Geltendmachung von Rechtsverletzungen im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreites kann nämlich dann verloren gehen und damit zu einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis im gerichtlichen Verfahren führen, wenn das Organ oder Organteil während der Sitzung der Vertretungskörperschaft nicht bereits die Fehlerhaftigkeit des Verfahrens gerügt hat. Denn die Klage verletzt dann den Grundsatz der Organtreue. Diese verlangt insbesondere die rechtzeitige Rüge des beabsichtigten, für rechtswidrig gehaltenen Verfahrens gegenüber dem Organ selbst. Unterbleibt die rechtzeitige Rüge, kann die vermeintliche Rechtswidrigkeit der fraglichen Verfahrensweise später im Rahmen einer Feststellungsklage nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden. Denn durch die unterlassene Rüge ist dem Organ die Möglichkeit genommen worden, die Einwände zu prüfen und ggf. für Abhilfe Sorge zu tragen.

 

Darüber hinaus ist nach den hier vorliegenden Kenntnissen nicht ersichtlich, dass Herr Mohrmann vorab von seinen Rechten nach § 29 Abs. 2 HKO Gebrauch gemacht hat (Fragerecht, Anfragerecht). Auch ist nicht bekannt, dass Herr Mohrmann in sonstiger Weise, z.B. Herantreten an die Kommunalaufsicht, irgendetwas unternommen hat, um die nach seiner Auffassung vorliegende Rechtswidrigkeit einer Prüfung zu unterziehen.

 

Im Ergebnis rechtfertigt seine Stellungnahme im Rahmen der Anhörung daher nicht sein weisungswidriges Abstimmungsverhalten.

 

Welche Maßnahmen sind bei weisungswidrigem Abstimmungsverhalten denkbar?

 

Geht man von einer Abberufungsmöglichkeit in entsprechender Anwendung des § 86 HVwVfG aus, kann eine Person, die zu ehrenamtlicher Tätigkeit herangezogen wurde,

von der Stelle, die sie berufen hat, abberufen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger Grund liegt  nach der gesetzlichen Regelung insbesondere vor, wenn der ehrenamtlich Tätige

 

1. seine Pflicht gröblich verletzt oder sich als unwürdig erwiesen hat,

 

2. seine Tätigkeit nicht mehr ordnungsgemäß ausüben kann.

 

Im Kontext mit der Stellungnahme im Rahmen der Anhörung und den obigen Ausführungen kann von einer gröblichen Pflichtverletzung und damit dem Vorliegen eines wichtigen Grundes wohl ausgegangen werden. Herr Mohrmann ist im Innenverhältnis als in die Verbandsversammlung entsandter Vertreter grundsätzlich verpflichtet, die Interessen des entsendenden Mitglieds zu vertreten. Die Mehrheit des Kreistags war für die Satzungsänderung. Ein entsprechender Beschluss wurde gefasst. Aufgrund der für den Landkreis wesentlichen Bedeutung der Satzungsänderung wurde zudem die Weisung an die Vertreter erteilt, der Satzungsänderung zuzustimmen. Entgegen der erteilten Weisung und dem mehrheitlichen Wunsch der Satzungsänderung hat Herr Mohrmann gegen die Satzungsänderung gestimmt. Hierin ist eine gröbliche Pflichtverletzung zu sehen.

 

Allerdings steht die Abberufung im Ermessen der berufenden Stelle, die Abberufung ist nicht zwingend.

 

Im Rahmen der Ermessensausübung müssen sachgerechte Erwägungen gewichtet und gegeneinander abgewogen werden. Erst danach kann eine Entscheidung getroffen werden, wie verfahren werden soll.

 

Erwägungen, die in die Ermessensentscheidung mit einbezogen werden sollten, sind u.a. folgende:

 

  • Besteht eine Wiederholungsgefahr? Das wäre dann der Fall, wenn während der laufenden Amtszeit mit weiteren Weisungen zu rechnen ist und Herr Mohrmann absehbar nicht entsprechend einer erteilten Weisung abstimmt.

 

Hier wäre zu berücksichtigen, dass es sich bei der erteilten Weisung nach diesseitiger Kenntnis um die erste Weisung überhaupt gehandelt hat und vom Recht der Weisungserteilung bislang kein Gebrauch gemacht wurde. Auch die Weisungserteilung steht im Ermessen des Mitglieds, sodass regelhaft wohl davon ausgegangen werden kann, dass vom Weisungsrecht nur in Fällen mit besonderer Bedeutung Gebrauch gemacht werden wird. Nach dem aktuellen Vorbringen Herrn Mohrmanns ist zwar damit zu rechnen, dass er das Weisungsrecht und das Verfahren grundsätzlich ablehnt, allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass er sich in einem etwaigen weiteren Verfahren abweichend verhält.

 

  • Es handelt sich um die erstmalige Pflichtverletzung durch weisungswidriges Abstimmungsverhalten.

 

Wie war das sonstige Verhalten in der bisherigen Amtszeit (vor und nach Erteilung der Weisung)? Gab es weitere Anlässe, in denen Herr Mohrmann als entsandter Vertreter gegen die Interessen des Landkreises als Mitglied der Verbandsversammlung agiert hat?

 

  • Ist das Vertrauensverhältnis insgesamt so zerstört, dass eine weitere Vertretung für den Landkreis schlichtweg unzumutbar ist?

 

  • Ein Schaden ist durch das Abstimmungsverhalten nicht entstanden. Der Beschluss wurde in der Verbandsversammlung auch ohne die Zustimmung Herrn Mohrmanns gefasst. Die Stimme Herrn Mohrmanns war nicht ausschlaggebend.

 

Die Abberufung müsste zudem den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

 

Das heißt, sie müsste ein zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignetes und erforderliches Mittel und insgesamt angemessen sein.

 

Hier wäre zunächst die Frage zu beantworten, welcher Zweck mit der Abberufung verfolgt werden soll.

 

Sieht man im Zweck die Vermeidung eines künftigen weisungswidrigen Abstimmungsverhaltens, dann wäre die Abberufung grundsätzlich ein geeignetes Mittel.

 

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Abberufung den größten Eingriff in die Rechte des Vertreters darstellt. Diesbezüglich wäre zu prüfen, ob die Abberufung das einzige Mittel zur Zweckerreichung ist oder ob hierfür „mildere“ Mittel, wie etwa die Erteilung einer Rüge, ebenso geeignet wären.

 

Insgesamt müsste im Rahmen einer Gesamtabwägung festgestellt werden, dass die Zweckerreichung, die lediglich über die Abberufung erzielt werden kann, gewichtiger ist, als das Recht des Vertreters, bis zum Ablauf der Amtszeit im Amt zu bleiben.

 

Diese Entscheidung obliegt dem Kreistag. Die entsprechende Umsetzung erfolgt durch den Kreisausschuss als Verwaltungsbehörde.