Als obdachlos gelten Menschen, die auf der Straße leben, an öffentlichen Plätzen wohnen, ohne eine Unterkunft, die sich in Verschlägen, Parks oder unter Brücken etc. aufhalten. 

In Abgrenzung hierzu gelten Menschen, die aufgrund ordnungsrechtlicher Maßnahmen ohne Mietvertrag, das heißt lediglich mit Nutzungsverträgen in Wohnraum eingewiesen oder in Notunterkünften untergebracht werden, als wohnungslos. Für diesen Personenkreis beschloss der  Kreistag in seiner Sitzung am 23.04.2018 (Nr.1437-2018/DaDi) vor dem Hintergrund der bislang bundes- und landesrechtlich ungeklärten, aber dringend regelungsbedürftigen Zuständigkeit vorläufige Maßnahmen.

Kreisbeigeordnete Lück informiert über das Ergebnis der bisherigen Prüfung und der ersten Analysen:

Zur Erfassung der Ist-Situation der Wohnungslosigkeit im Landkreis wurde ein Erhebungsbogen an alle 23 Städte und Gemeinden versandt. Neben der Erfassung der Bewohner in den Notunterkünften (nach Geschlecht, familiärer Situation und Alter) wurde die Gesamtzahl der Plätze, die Belegungsquote sowie die Dauer der Unterbringung erfasst. Alle Städte und Gemeinden nahmen an der Abfrage teil.

Es ergibt sich folgendes Bild:

·         Im Juli 2018 waren von den insgesamt 371 im Kreis zur Verfügung stehenden Plätzen für Wohnungslose 238 belegt. Das entspricht einer Auslastung von 64,2 %.

·         Die Anzahl der Notunterkünfte im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist sehr unterschiedlich. Im Durchschnitt wird kreisweit ein Platz je 1.123 Einwohner bereit gehalten.

·         Die Mehrheit der Wohnungslosen im Kreis ist männlich und alleinstehend.

·         2/3 aller untergebrachten Personen leben länger als sechs Monate in einer Notunterkunft, 1/3 bereits länger als zwei Jahre.

·         Viele Wohnungslose sind von mehr als einer Problemlage betroffen. Suchterkrankungen, psychische Probleme und Gewalt wurden mehrfach als Hemmnis für die Vermittlung in privaten Wohnraum angegeben.

Die  detaillierte Auswertung ist als Anlage 1 beigefügt.

Von der Kreisversammlung der Bürgermeister wurden für eine Arbeitsgruppe Wohnungslosigkeit folgende Teilnehmende entsandt: Herr Ruppert, Herr Möller und Frau Sprössler (als Vertreter Herr Schuchmann und Herr Koch). Von Seiten des Kreises nehmen die Sozial- und Jugenddezernentin, deren Büroleiterin sowie die Leiterin des Fachbereiches Soziales, Pflege und Senioren an der Arbeitsgruppe teil.

Das Abfrageergebnis macht deutlich, dass derzeit primär kein Bedarf an zusätzlichen Plätzen für Wohnungslose besteht, sondern dass vorrangig die Beratung, Betreuung und Begleitung  durch ausreichendes Fachpersonal Ziel sein muss, um die von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen möglichst gezielt über ihre weiteren Unterstützungsmöglichkeiten aufzuklären und eine zeitnahe Vermittlung in eigenen Wohnraum bzw. ggf. weiterführende bedarfsgerechte Hilfen (z.Bsp. Betreutes Wohnen, Suchtberatungen, Therapiestätten,…) sicherzustellen. Zur Reintegration in die Gesellschaft ist eine sozialpädagogische Arbeit mit den Betroffenen unerlässlich.

Der Horizont e.V. betreut bereits seit 1999 im Auftrag der Stadt Darmstadt Menschen, die auf Grundlage des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) untergebracht werden müssen. In einem Konzeptionsentwurf bezüglich eines Betreuungsangebotes für Wohnungslose im Landkreis, welches der Horizont im Jahr 2012 der Bürgermeisterkreisversammlung vorgelegt hat, wird ausgeführt, dass erfahrungsgemäß ein Betreuungsschlüssel von 3 Stunden pro Person und Woche in aller Regel ausreichend ist.

Ausgehend von diesem Betreuungsschlüssel und unter Zugrundelegen der Kosten für Sozialpädagogen der Entgeltgruppe S 11 b ergeben sich an jährlichen Brutto-Entgeltkosten für die Betreuung der Wohnungslosen im Kreis:

 

Ø  Für alle Wohnungslosenlosen                                     724.984,62 EUR

Ø  Für Wohnungslose, die länger als sechs Monate

              in den Notunterkünften sind                                      481.292,31 EUR

Ø  Für Wohnungslose, die länger als zwei Jahre

in den Notunterkünften sind                                      243.692,31 EUR

Die detaillierte Berechnung kann der Anlage 4 entnommen werden.

Für die Beauftragung eines Trägers der Wohnungslosenhilfe ist ein förmliches Vergabeverfahren unter Beteiligung der Zentralen Auftragsvergabestelle durchzuführen. Inhalt der Ausschreibung sollte die sozialpädagogische Betreuung der Wohnungslosen im Landkreis auf Grundlage einer entsprechenden Konzeption sein.

Von den Vertretungen der Städte und Gemeinden in der Arbeitsgruppe Wohnungslosigkeit wurde signalisiert, dass von deren Seite eine Kostenbeteiligung ausscheidet. Die anfallenden Betreuungskosten wären somit ausschließlich aus Mitteln des Kreises sicherzustellen. Zur Betreuung und Steuerung des Projektes ist darüber hinaus beim Fachbereich 540 eine halbe Stelle der Entgeltgruppe 9 erforderlich.

Zur Fragestellung, in wie weit Eingliederungshilfe nach dem SGB II für Maßnahmen mit dem Ziel einer Vermittlung in Arbeit und zur Hilfestellung bei der Wohnungssuche eingesetzt werden können, liegt eine umfassende Stellungnahme des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration vom 27.08. d.J. vor, die als Anlage 2 beigefügt ist. Im Ergebnis wird die Einordnung von Maßnahmen zur Wohnraumbeschaffung unter die Leistungen nach dem 3. Kapitel, 1. Abschnitt des SGB II (Leistungen zur Eingliederung in Arbeit) ausgeschlossen.

Bereits mit Schreiben vom 16.03.2018 nahm das Hessische Innenministerium  gegenüber dem Hessischen Landkreistag Stellung zur Aufgabe des Sozialhilfeträgers in Bezug auf die Unterbringung und Betreuung von Wohnungslosen.

Zur Frage der Abgrenzung zwischen Sozialrecht und Gefahrenabwehrrecht wird ausgeführt, dass die Frage der Beschaffung von Wohnraum nicht Aufgabe des SGB II- und XII-Trägers (und damit der Landkreise) ist. Es wird betont, dass es dem Hilfebedürftigen obliegt, sich um eine Wohnung zu kümmern. Der Sozialhilfeträger habe lediglich die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu bestimmen, anzuerkennen und zu leisten. Die Beratungsaufgabe erschöpfe sich im SGB XII wie im SGB II bei der Benennung von Möglichkeiten der Wohnraumbeschaffung.

Das Innenministerium vertritt die Auffassung, dass Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gemäß den §§ 67 ff. SGB XII (Gefährdetenhilfe) nur einem sehr eingegrenzten Personenkreis zu gewähren ist. Diese Hilfen seien nicht darauf gerichtet Unterbringungsmöglichkeiten zu finanzieren, sondern sollen einzelfallbezogen Menschen in besonderen Lebenslagen unterstützen. Das Anschreiben ist als Anlage 3 beigefügt.

Aktuell ist der örtliche Sozialhilfeträger für die Gewährung von Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten zuständig. Ab 01.01.2020 wird durch eine Gesetzesänderung die Zuständigkeit dem überörtlichen Sozialhilfeträger (LWV) übertragen.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass das HSOG nicht für die Unterbringung dauerhaft wohnungsloser Menschen ausgelegt ist. Daraus resultiert allerdings nicht die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers bzw. ein grundsätzlicher Anspruch auf Betreuung aus § 67 SGB XII.

Dies bedeutet, dass es für die Übernahme der Kosten der sozialpädagogischen Betreuung der wohnungslosen Menschen durch den Landkreis keine rechtliche Verpflichtung  gibt und diese nur als freiwillige Leistung erfolgen kann. Nur in außergewöhnlichen Fällen kommt Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 67 SGB XII in Betracht – ab 01.01.2020 ist hier allerdings der überörtliche Träger sachlich zuständig.

Bevor nun ein detailliertes Konzept ausgearbeitet wird, sollte der Kreistag zunächst entscheiden, ob die erforderlichen Mittel -zum einen für die Betreuung zumindest der Langzeitwohnungslosen von  240.000,-- EUR und zum anderen die erforderlichen Personalaufwendungen für die Koordination der Aufgabe-  zur Verfügung gestellt werden.